Naoto Matsumura
"Ich fand, ich hatte keine Wahl"
Der Japaner Naoto Matsumura berichtet elsässischen Schülern über die Katastrophe von Fukushima und über sein Leben in der verstrahlten Zone.
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Hinter ihm an der Saalwand prangt die Titelseite der Zeitung Libération: "La terre des morts" – Das Land der Toten. Gezeigt wird die zerstörte Welt von Fukushima. Das Gespräch mit den Schülern im Saal läuft karg und schwierig – eine Dolmetscherin ist nötig. Doch Matsumuras Botschaft ist einfach. "Ich glaubte nicht an ein Risiko. Ein Unfall schien ausgeschlossen, jetzt haben wir alles verloren."
Eine Reportage des französischen Fotoreporters Antonio Pagnotta und schließlich ein Buch machten den "Eremiten von Fukushima" in Europa bekannt. Pagnotta ist der Initiator der Reise, die Matsumura drei Jahre nach der Atomkatastrophe nach Paris, ins Elsass und an diesem Wochenende auch nach Freiburg und Weisweil führt. Vergangenen Sonntag stand er beim Protestmarsch gegen das Atomkraftwerk Fessenheim in vorderster Reihe. Vom ältesten französischen Akw trennen Guebwiller 26 Kilometer. Auf das Akw Fukushima-Daiichi übertragen, läge die Stadt knapp außerhalb der Evakuierungszone. Matsumuras verstrahltes Haus liegt zwölf Kilometer vom Kraftwerk entfernt.
"Mit dem Erdbeben damals kam die Angst", sagt Matsumura, "ich dachte, jetzt geht die Welt unter". Die schlichten Sätze des 54-Jährigen mit dem schlohweißen Haar provozieren. "Ich werde wohl so lange bleiben, bis ich sterbe", sagt er und lächelt den Schreck im Gesicht einer Schülerin weg. In seinem früheren Leben hat er Reis angebaut. Heute füttert er die verlassenen Tiere in der Stadt Tomioka. Sein Leben in der Sperrzone ist Wiederholung und Gleichmaß. Abends, sagt er, sei er alleine in seinem Ort.
Streng genommen ist Matsumura nicht wirklich "der letzte Mensch von Fukushima", der in der Nähe des Atomkraftwerks lebt, wie es der Titel des Buches, das Pagnotta über ihn geschrieben hat, unterstellt. Einen, vielleicht zwei andere gebe es noch, die sich der Evakuierung widersetzt hätten, sagt einer der Begleiter. Aber er ist es, der Aufsehen erregt hat. Als es zur Kernschmelze gekommen war und die Regierung mit der Räumung der Ortschaften begann, berichtet Pagnotta im Kinosaal, hätten die Politiker den Menschen erzählt, sie würden in drei Tagen wieder zurück sein. Aus drei Tagen wurden drei Jahre – ohne Aussicht auf Rückkehr. Für die meisten, die gehen mussten, ist es bei einem Leben in Notunterkünften geblieben. "Die politische Elite und der Akw-Betreiber Tepco", sagt Pagnotta, "behaupteten damals wie heute, sie hätten alles im Griff".
Der stille Naoto Matsumura ist ein Mahnmal dagegen. "Mir geht es körperlich gut", erzählt er. "Wie es tief drinnen in mir aussieht, weiß ich nicht." Die Ärzte hätten ihm bei der letzten Untersuchung vor drei Jahren keine Zahl genannt; sie sagten nur, er sei der Mensch mit der höchsten Strahlenbelastung, die sie gemessen hätten.
Nach dem offiziellen Gespräch mischt sich Matsumura unter die Schüler. Er wirkt fremd in seinem blauen Anzug, der aussieht wie eine Arbeitsuniform. Draußen vor dem Kino in der Sonne umringen ihn die jungen Leute, posieren neben ihm für Fotos. Er steckt sich eine Zigarette an und lächelt nur. Für Pagnotta, seinen Entdecker, ist Matsumura der Mann, der die Japaner an ihr Versagen erinnert. In Europa bleiben? Nein, entgegnet er, das Essen sei für ihn kaum zu ertragen. Und wer, wenn nicht er, solle sich um die Tiere kümmern? Bis er zurückkehrt, haben sein Bruder und ein paar Freiwillige seine Aufgabe übernommen.
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