Ich bin stolz, dass er so lange gekämpft hat
Erkrankt ein Elternteil an Krebs, leiden auch die Kinder / Eine Jugendliche erzählt von einer Kindheit mit Krankheit und Tod.
Anonym, Wilhelm-August-Lay-Schule (Bötzingen)
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Als meine Brüder und ich im Kindergarten waren, war mein Vater selten tagsüber zuhause. Wenn er abends kam, hieß es dann, er wurde von Piraten aufgehalten, musste erst mit ihnen kämpfen und wurde dabei von deren Säbeln verletzt. In dem Alter glaubten meine Brüder und ich noch daran. Je älter ich wurde, umso realer wurde es für mich, dass es keine Piraten gab, sondern dass mein Vater krank war. In der Grundschule wurde es dann immer schlimmer, und wir mussten ihn häufiger im Krankenhaus besuchen. Für uns Kinder hieß das: nach der Schule zuhause Mittagessen, dann zum Hausaufgaben-Machen in unsere Gärtnerei. Denn in all den Jahren waren meine Eltern mit einer Staudengärtnerei selbstständig.
Doch all die Jahre der Krankheit hinterlassen auch bei der Familie Spuren. Mit sieben Jahren kam ich von der Schule zurück, weinte und konnte nicht mehr. Kurze Zeit später bekam ich psychologische Hilfe. Im Verlauf der Krankheit bildeten sich Metastasen, neue Krebszellen. Erst im Darm, anschließend im Magen, als nächstes in der Bauchspeicheldrüse, dann in der Lunge und im Hirn. Doch viele Operationen, eine Bestrahlung und zwei Chemotherapien sowie zwei Rehaklinikaufenthalte halfen nicht langfristig. Als ich dann in der vierten Klasse war, bekam mein Vater um Weihnachten herum die Diagnose Hirntumor.
Ich musste von der vierten auf die fünfte Klasse die Schule wechseln. Da meine damals beste Freundin auf eine andere Schule wechselte, war geplant, dass ich mit ihr und ihrer Familie in den Sommerferien eine Woche nach Frankreich fahre. Als Sommerferien waren, fuhren wir Kinder zu unserer Oma nach Nordrhein-Westfalen und meine Mutter an die Ostsee zu einer Kur. Eines Morgens saßen dann plötzlich meine Mutter und die Schwestern meines Vaters in der Küche. Im ersten Moment dachte ich: "Warum sind die hier?" Dann sagten sie uns, dass etwas Schreckliches mit Papa passiert sei. Ab diesem Punkt war ich wie betäubt und weiß nur noch, dass ich weinend im Bett lag. Sechs Tage später war die Beerdigung. Wie geplant fuhr ich nach Frankreich. Wenn das mit meinem Vater nicht passiert wäre, hätte ich diesen Sommer wohl als einen der schönsten in meiner Erinnerung. Doch da all die schönen Erinnerungen von Trauer überschattet wurden, kann ich mich an kaum etwas aus diesem Sommer erinnern. Doch heute mit Abstand kann ich sagen, ich bin stolz auf meinen Vater, dass er so lange gekämpft hat.
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