Heile Heimat ist anderswo
Neue Mundartgedichte von Markus Manfred Jung und eine Übersetzung seiner Lyrik ins Italienische.
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Formal hat Jung seinen Dialekt sowieso in viel weiter entfernte Regionen mitgenommen. Mehr noch als in früheren Arbeiten komprimiert er das an sich schon maulfaule Alemannisch zu knappen, aphoristischen Sentenzen im Stil japanischer Haiku: "aspirin de mond/ disigi schlire dävor/ dä nebel dur s hirn." Auch in den freien Formen betreibt Jung seine Dichtung im Wesentlichen als Verdichtung. Der Rhythmus gleicht einem Stakkato und jedes Wort einem kleinen Hammerschlag: "i find mi/ nümmi// zrecht// i hami/ verruumt// in dir// isch doo/ bigoscht// platz.
Der fast schon harte Tonfall gibt die oft düstere Stimmungslage der meisten Gedichte vor. Themen sind die manchmal quälenden Gedanken, das ungeschriebene Wort, die seltsame Sehnsucht nach Kälte, worin Wärme überhaupt erst erinnerbar wird. "Uf d letschdi" , lautet der Titel eines dieser Gedichte, bei der allein die Häufung dunkel tönender Vokale eine apokalyptische Stimmung erzeugt: "nonemool/ dur de winter choo/ en einzig mool no", heißt es in der ersten Strophe. Die Arbeit, die dann noch bleibt "im leer droschenen/ strauh", ist das mühsame Herausschälen des wirklich Wichtigen im Leben: "uspelze/d wörter/spelzig". Und schließlich: "loosen uf s letschti/wort".
Apropos Wort. Jung gebraucht das Alemannische frei von jeder Tümelei . Er versteht Dialekt als ganz normale Sprache. Und wie nebenbei entwickelt er daraus eine Kunstsprache. Er erfindet zuweilen neue Wörter oder gibt längst bekannten Vokabeln neue Bedeutungen in neuen Zusammenhängen. Trotz der zähen Arbeit am einzelnen Wort bemüht sich Jung, seine Mundart als direktes, lebendiges Ausdrucksmittel zu erhalten. In einem Gedicht mit dem programmatischen Titel "dichte" beschreibt er diesen autarken Zustand der Sprache mit dem Satz, "do gumpt di e wort a" – "da springt dich ein wort an", wie es wörtlich übersetzt hieße. Und schließlich – mit fast schon anarchischer Freude – widmet er ein ganzes Gedicht dem ironischen Spiel mit den Begriffen "mund art" und "un art".
Jungs Lyrik ist, wie er sagt, alemannisch, weil eben dies zufällig seine Sprache sei. Dass sie keineswegs an ein alemannisches Biotop gebunden ist, zeigt eine jetzt vorliegende Übersetzung seiner Gedichte ins Italienische. Giovanni Nadiani, Autor und Professor aus Bologna, übertrug Jungs Lyrik nicht von "Sprache zu Sprache, sondern von Poesie zu Poesie", wie er im Vorwort schreibt. Verknappung, Lautmalerei und das Spiel mit verschiedenen Bedeutungsebenen hat er als Prinzip von Jungs Arbeit herausgeschält. Der Übersetzer muss diese Methoden nicht immer an denselben Stellen wie Jung anwenden. Allein der Einsatz dieser Bausteine transportiert seine Handschrift ins Italienische. Mehr noch: Das vermeintlich so raue Alemannisch entpuppt sich als eine Sprache, die es locker mit dem Rhythmus und den lautmalerischen Vokalen des Italienischen aufnehmen kann. Nur der Titel "Parole come l’Erba" klingt in deutschen Ohren zu sehr nach Dolce Vita und Antipasti. Wo doch Jung Wörter meint, die zuweilen bedrohlich wuchern wie Gras: "un spüür/wie si wachse wider/wider/di.
– Markus Manfred Jung: am gääche rank. Drey Verlag, Gutach 2004. 93 Seiten, 17 Euro.
– Markus Manfred Jung: Parole come L’Erba. Alemannisch und Italienisch. Übersetzt von Giovanni Nadiani. Mobydick-Verlag, 11 Euro.
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