Rolf Behrens im Interview
"Gymnasium 2020": Was sagt einer der Väter des Konzepts?
Untergräbt das Arbeitspapier "Gymnasium 2020" die Zukunft der Schulart – und wird das Konzept den Streit um die Bildungspolitik überdauern? Der Freiburger Schulleiter Rolf Behrens im Interview.
Mi, 3. Jun 2015, 12:07 Uhr
Südwest
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Behrens: Genau das hatten wir nicht vor. Vielmehr wollen wir das Gymnasium in einer sich wandelnden Welt neu aufstellen mit dem Ziel, dass es die neue Herausforderung etwa der Heterogenität aufnehmen kann. Zugleich aber sollen die Fachlichkeit, die Studienorientierung geschärft werden, sodass das Gymnasium mindestens auf der gleichen, wenn nicht gar auf einer höheren Niveaustufe erhalten werden kann. Denn ich bin ein Anhänger des gegliederten Schulsystems.
BZ: Es gab seitens der damaligen sozialdemokratischen Kultusministerin auch keinen Auftrag, über das Gymnasium im Sinne der Gemeinschaftsschule als Einheitsschule nachzudenken?
Behrens: Nein. Wir hatten im Gegenteil den Auftrag, ohne Denkverbote über die Weiterentwicklung des Gymnasiums mit einer Schärfung der Spezifika dieser Schulart zu reden: Wie reagieren wir auf die Erfahrungen, die wir mit G 8 gemacht haben, wie reagieren wir auf die heutige Schülerklientel?
Behrens: Einerseits bin ich recht enttäuscht. Andererseits spricht aus manchen Berichten wie dem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein reaktionärer Geist. Und dann gibt es manche politische Aussagen, die sich gar nicht an den Inhalten des Arbeitspapiers orientieren. Vor allem die FDP im Landtag hat sich da katastrophal positioniert. Die CDU hat meines Erachtens das Papier nicht genau genug gelesen und will schon in den Wahlkampf starten. Das ärgert mich schon. Denn es handelt sich um ein, wie ich finde, von der Sache her sehr gutes Papier, das das Gymnasium weiterbringt – und es ist ja nur ein Arbeitspapier, da ist noch nichts entschieden. Und die Art und Weise, wie manche in den Regierungsfraktionen damit umgehen, finde ich komisch.
BZ: Wie soll das Gymnasium darauf reagieren, dass es die neue Hauptschule ist? Denn die Hälfte eines Jahrgangs geht inzwischen aufs Gymnasium.
Behrens: Meine Vision ist: Die eine Hälfte eines Jahrgangs geht ins Gymnasium, die andere in die zweite Säule des Schulsystems, also Real- und Gemeinschaftsschule. Dazu gehört freilich auch, dass diese zweite Säule sehr gut aufgestellt ist – und das ist heute noch nicht der Fall. Die Realschulen brauchen bessere Rahmenbedingungen.
BZ: Ihr Kollege Bernd Saur vom Philologenverband hat eine andere, eine stärker eliteorientierte Vorstellung vom Gymnasium ...
Behrens: Ich weiß, dass Herr Saur von der Zielsetzung des Gymnasiums eine völlig andere Vorstellung hat, als sie in dem Arbeitspapier entwickelt wird. Ich sehe den Eliteanspruch des Gymnasiums nicht in der Zahl der Schüler, die man dort aufnimmt, sondern in dem Ziel, über das Abitur die Schüler vorzubereiten auf eine akademische Karriere oder auf Führungsaufgaben in der Wirtschaft oder der Gesellschaft. Und das soll nach meinen Vorstellungen nicht wenigen vorbehalten bleiben.
BZ: Aber 50 Prozent eines Jahrgangs: Da wird es schwierig, das Niveau zu halten, das man früher bei 20 Prozent erreicht hat. In ihrem Papier entdecke ich gerade mit Blick auf dieses Problem eine Reihe von Unterrichtselementen der Gemeinschaftsschule, wie etwa Lerncoaching, differenziertes Lernen, Lernberatung.
Behrens: Ja, aber diese Elemente haben wir nicht nur in Gemeinschaftsschulen entdeckt, sondern in Privat- oder Waldorfschulen wie auch in jetzt schon innovativen Gymnasien. Diese Unterrichtselemente haben wir gymnasial zu denken versucht. Denn ohne solche neuen Lernmethoden werden wir in allen Schularten künftig nicht mehr auskommen.
Behrens: Dieses Konzept ist entstanden aus der Frage, wie man Realschülern in der zehnten Klasse den Anschluss an das achtjährige Gymnasium besser ermöglichen kann als bisher. Das Modell gibt es schon in den Europäischen Schulen, wo Schüler in Klasse 9 eine Fremdsprache ablegen und dann ihre vierte wählen können. Und dieses System der Sprachenbildung ist durchaus erfolgreich. Im altsprachlichen Bereich gibt es an den Freiburger Gymnasien ebenfalls gute Resultate mit dem Lernen einer Sprache in nur drei Jahren.
BZ: Sie wollen im Abitur nur noch drei schriftliche Prüfungen verlangen, dafür eine zweite mündliche Prüfung einführen. Das halten manche ebenfalls für eine Niveauabsenkung.
Behrens: Das sehe ich überhaupt nicht. Erstens gab es das früher schon in Baden-Württemberg. Zum Zweiten ist die Zahl der Prüfungsfächer keine Aussage über das Niveau. Die schriftlichen Prüfungen stellen gewiss eine besondere Niveauanforderung dar, aber das lässt sich nach Überzeugung des Arbeitskreises mit drei Fächern genauso gut abbilden wie mit den bisherigen vier. Wir glauben, dass eine mündliche Prüfung ohne große Vorbereitungsmöglichkeiten, wie wir sie jetzt vorschlagen, das Niveau und den Abschluss stärken würde.
Behrens: Natürlich ging es im Arbeitskreis kontrovers zu – das bringt es mit sich, wenn Ministeriumsvertreter, Schulleiter, Landeschulbeirat, Eltern- und Schülervertreter zusammensitzen. Aber in einem Punkt gab es überhaupt keine Kontroverse: Wir wollten das Gymnasium in der Schullandschaft neu und profiliert positionieren mit dem Ziel, ein sehr gutes baden-württembergisches Abitur fest zu etablieren.
BZ: Ist das Papier einstimmig verabschiedet worden?
Behrens: Wir haben darüber nicht abgestimmt. Aber alle Teilnehmer sehen nach meiner Wahrnehmung dies als Ergebnis des Arbeitskreises. Ich spreche ja auch jetzt noch mit vielen von ihnen, und da stelle ich eine einheitlich große Überraschung fest, dass man in der Politik aus dem Papier eine Schwächung des Gymnasiums herauslesen will.
BZ: Macht also sich jeder, der Hand anlegt an das Gymnasium, sofort verdächtig?
Behrens: Politisch ist das sicher der Fall. Ministerpräsident Kretschmann hat ja gesagt: Wer das Gymnasium zur Diskussion stellt, hat die Wahl verloren. Da ist was dran, glaube ich.
BZ: Was bleibt nach der aufgeregten Diskussion von dem Arbeitspapier übrig?
Behrens: Darauf bin ich auch gespannt. Der Minister hat ja verlauten lassen, dass er manche Vorschläge nicht übernehmen will, zum Beispiel die spät beginnende Fremdsprache. Elemente wie Lerncoaching hält er dagegen für eher möglich. Ich glaube deshalb nicht, dass das Papier in seiner Gänze umgesetzt wird – obwohl ich mir genau das wirklich wünschen würde.
Rolf Behrens (64) ist seit 1999 Leiter des rund 1100 Schüler zählenden Freiburger Kepler-Gymnasiums. "Gymnasium 2020" war nicht der erste Arbeitskreis, in den ihn das Kultusministerium zum Nachdenken über die Schule der Zukunft eingeladen hat.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ