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Gleichgültigkeit im Norden, Frust im Osten und weit weg im Süden

Drei JuZ-Autoren aus drei deutschen Städten schildern ihre Impressionen vom Tag der Deutschen Einheit / In Lübeck interessiert man sich mehr für die Erntebilanz.  

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Am vergangenen Sonntag feierte Deutschland den vierzehnten Tag der Deutschen Einheit. Drei junge JuZ-Mitarbeiter aus drei verschiedenen Städten schildern ihre Impressionen aus einer Nation zwischen Gleichgültigkeit, Frust und Herbstsonne.

LÜBECK:

Es ist ein sonniger Tag an der Trave. Zwei ältere Männer fischen mit einer langen Angel und rauchen. Ein Feuerwehreinsatz durchbricht die Ruhe an diesem Sonntagmorgen. Doch so schnell die Blaulichtkarawane gekommen ist, rauscht sie auch wieder davon. Am Timmendorfer Strand spazieren Besucher. Man hört Hamburger Platt, sächsischen Dialekt und Hundegebell. Die "Lübecker Nachrichten" titeln: "Ernte 2004: Bauern im Norden zufrieden." Kein Wort zur deutschen Einheit, nur 14 Jahre danach, nur 20 Kilometer von der ehemaligen Staatsgrenze entfernt. Ein Taxifahrer lästert in bester Taxifahrermanier. "Die Ossis da drüben haben es heute viel besser als wir hier. Schönere Einkaufscenter, bessere Straßen." Dann bekommt er eine Tour; Krankenfahrt an diesem Sonntag. Es geht nach Schwerin.

Martin Müller

ERFURT:
Die Autos sind größer als sonst. Wahre Prachtstücke deutscher Autobaukunst. Kurt der Nachbar macht sich über die Nummernschilder Gedanken. "Warum hat der jetzt nur die Zwee auf dem Schild?" Die Nummer zwei im Staat wäre heute wohl lieber nicht die Nummer zwei, und lieber auch nicht da. Einzelne "Hartz-Protestrufe" durchbrechen die Stille auf den sonnendurchfluteten Straßen. Doch Schröder lacht, gibt Autogramme und lässt sich fotografieren. Wie das eben auf so einer Feier zum Tag der Deutschen Einheit üblich ist. Eine Sonderzeitung erklärt mit erhobenem Zeigefinger, dass der 3. Oktober ein willkürlich gesetzter Tag sei. Köhler ist schon die ganze Zeit da, jetzt redet auch er. Kurt der Nachbar geht nicht hin: "Verarschen können wir uns selbst." So sehen es auch die anderen: Die Besucher aus den Reihenhaussiedlungen und Plattenbauten bleiben aus. Am Abend in einer Kneipe, fernab aller Grußworte: "Ich habe einen Job in Österreich gefunden und gehe dort kellnern." Der Tischnachbar antwortet: "Na, immerhin darfste jetzt nach Österreich ausreisen."

Urte Eppelmann

FREIBURG:

Es ist nicht mehr richtig Sommer, aber gerade noch warm genug, um sich noch mal in den Park zu legen, die letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen und ein wenig vor sich hinzudösen. Der Montag ist noch in weiter Ferne, genauso wie Berlin, der Osten und die ganzen Probleme dort. Rund um die Uni findet man vereinzelte Aufrufe von Attac "gegen Sozialabbau", die hier allerdings nie wirklich angekommen sind. Die Freiburger hören sie in den Tagesthemen und nicht in der Fußgängerzone. Auch sonst sind die aktuellen deutsch-deutschen Probleme bis jetzt an Freiburg vorbeigegangen. Sicher, auch hier bedeuten die Sozialreformen für viele Menschen einschneidende Veränderungen, aber verglichen mit Dessau oder Hoyerswerda macht man sich Sorgen auf hohem Niveau. An den Kiosken weisen Infotafeln auf zerstobene Straßenbahnbauträume und nicht auf Mauerwiederaufbaufantasien hin. Nicht, dass die Probleme hier ausgeklammert würden; über die große Politik diskutiert man hier, zumindest momentan noch, eher als Außenstehender, der sich zwar Sorgen macht, aber selbst noch nicht wirklich betroffen ist.

"5000 neue Wörter - der neue Duden" wird im Schaufenster der Buchhandlung angepriesen. Eines davon ist die "Hartz-Kommission". Wenn's richtig wehtut, soll man's zumindest richtig schreiben können, meinen die Mannheimer. "Besserwessi" war übrigens mal Wort des Jahres - und nicht etwa Unwort. Auf einem vergilbtem Plakat wirbt eine Brauerei für "Harzhaft frischen Biergenuss." Im Regionalfernsehen läuft eine Reportage über die Zeit der Wende. Man erinnert sich natürlich gerne dran, an den Jubel über die Maueröffnung, die Freude und die Aufbruchsstimmung. Konsequenterweise endet die Reportage mit den Ereignissen vom November 1989. Der 3. Oktober kommt nicht mehr vor.

Carl-Leo von Hohenthal.

Ressort: Zisch

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