Kino

Glamour und Politik: Die 90. Oscar-Verleihung

Unterhaltung oder Zeitkritik? Schon klar, so eine Oscar-Gala muss beides liefern, aber diesmal wurde erwartet, dass sie so politisch würde wie nie.  

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In in Zeiten von #MeToo und #TimesUp steht die Traumfabrik selbst auf dem Prüfstand. Würde die 90. Verleihung der Academy Awards, der Glamour-Event des Jahres, dem weltweit Millionen Fernsehzuschauer beiwohnen, zum Tribunal der Revoluzzer werden und womöglich die Protestaktionen bei den Golden Globes, Grammys oder BAFTAs noch toppen? Nein, das war nicht der Fall. Der Verzicht auf plakative Statements zeigte sich schon, bevor der Vorhang im Dolby Theatre von Los Angeles aufging: Die Damen präsentierten sich auf dem roten Teppich nicht in politisch korrektem Protestschwarz, sondern setzten mit bunten Roben ein Zeichen für Vielfalt: Nicole Kidman und Jennifer Garner in Royalblau, Lupita Nyong’o und Gina Rodriguez in Glitzergold, in Unschuldsweiß Margot Robbie und Jane Fonda, in leuchtendem Rot Meryl Streep und Leslie Mann. Ihre Gesinnung trugen die Stars eher diskret mit sich herum, in Form von Anstecknadeln wie dem schwarzen "Time’s Up"-Pin – den hatte auch Regisseur Guillermo del Toro am Revers, der Sieger des Abends, – oder dem orangefarbenen gegen Waffengewalt.

Nicht bierernst und kein Spaßvogel!

Moderator Jimmy Kimmel gab sich sichtlich Mühe beim Spagat zwischen Entertainment und Politik: bloß nicht bierernst werden, aber auch nicht wie der seichte Spaßvogel daherkommen! Damit man ihm das ja nicht unterstellen möge, haute er gleich im Eröffnungsmonolog ordentlich was raus: Diskriminierung von Schwulen und Schwarzen, geschlechtsspezifisches Lohngefälle und Sexismus, Donald Trump und Mike Pence. Kimmel ließ liberale Ansichten regnen und das Auditorium dankte es, als hätte es schon immer an der Seite von Super Woman und Black Panther gekämpft: Wir sind Hollywood, wir sind die Guten, Hollywood ist ja per se pro bono, contra malum. Nun denn, Harvey Weinstein ist schließlich auch Hollywood. Und wie...

Auf Pointen versteht er sich freilich bestens, der 50-jährige Comedian und Talkmaster, der bereits im Vorjahr die Gala moderierte. Wo der Mann so sehr am Ende sei, dass Frauen schon mit einem Fisch eine Romanze anfangen müssten (eine Anspielung auf "Shape of Water"), brauche man Männer wie ihn, sagte er mit Blick auf eine überlebensgroße Oscar-Statue: "Er behält seine Hände dort, wo man sie sehen kann, er benutzt keine unflätigen Worte, vor allem aber – er hat keinen Penis!"

Klar, dass Kimmel auch die größte Panne der Oscarnacht von 2017, ja vielleicht der gesamten Geschichte der Academy Awards, selbstironisch durch den Kakao zog, als Faye Dunaway und Warren Beatty versehentlich "La La Land" statt "Moonlight" als besten Film verkündeten. Sowas konnte diesmal nicht passieren, denn auf den Umschlägen war erstmals die Preiskategorie aufgedruckt, einen netten Running Gag gab es allemal her – bis ins Finale, wieder mit Bonnie und Clyde: Del Toro, der bereits für die beste Regie ausgezeichnet worden war, prüfte die Karte erstmal grinsend nach, bevor er den Oscar für den besten Film entgegennahm.

Gerd Nefzer aus Schwäbisch Hall gehört zu den Preisträgern

Bei 13 Nominierungen waren die vier Preise für "Shape of Water" keine große Sensation; ebensowenig die Auszeichnungen für die Darsteller: Frances McDormand als Rächerin in "Three Billboards outside Ebbing, Missouri", Gary Oldman als Winston Churchill in "Die dunkelste Stunde", Allison Janney als ehrgeizige Mutter der Eiskunstläuferin Tonja Harding in "I, Tonya", und Sam Rockwell als Polizist in "Three Billboards".

Verdient sind sie alle, die Überraschungen fanden woanders statt. Die positivste aus deutscher Sicht natürlich in der Kategorie "Visuelle Effekte", wo Gerd Nefzer aus Schwäbisch Hall zu den Preisträgern für "Blade Runner 2049" gehört. Dessen Kameramann, der Brite Roger A. Deakins, bekam nach 14 Nominierungen endlich den Oscar. Der Netflix-Film "Icarus" über Doping in Russland wurde als beste Doku ausgezeichnet, Jordan Peele als erster Schwarzer für das beste Originaldrehbuch (zum Thriller "Get Out"), James Ivory für das beste adaptierte (zum Liebesdrama "Call Me By Your Name").

Was sonst noch so bleibt von der 90. Oscar-Verleihung? Ein paar launige Gags wie der Ausflug von Stars wie Ansel Elgort, Emily Blunt und Armie Hammer ins Kino nebenan, wo das ganz normale Publikum zum Dank für seine Treue mit Hot Dogs aus der Kanone beschossen wurde, was für veritables Entzücken sorgte.

Gräben gehören zugeschüttet

Jimmy Kimmel begnügte sich nach seinem fulminanten Start mit einer zahmen Moderation, beherzter waren etwa die Schauspielerinnen Salma Hayek, Ashley Judd und Annabella Sciorra, die zu den Weinstein-Anklägern gehören und ein Video für Frauenrechte präsentierten. In den Dankesreden war viel von Diversität die Rede, von Minderheiten und Migranten, und Anthony Gonzalez, Sprecher des zwölfjährigen Miguel im preisgekrönten Animationsfilm "Coco", rief in einer Grußbotschaft begeistert: "Viva México!" Womit sich viele im Saal identifiziert haben dürften, nicht nur der Mexikaner del Toro, der in seinen Dankesworten darum warb, Gräben zuzuschütten.

Die mitreißendste Rede aber hielt Frances McDormand: Sie ließ alle weiblichen Nominierten aufstehen, machte sie zur Solidargemeinschaft und forderte einen "Inclusion Rider", der Frauen erlaubt, bei Diskriminierung oder Übergriffen ohne Vertragsstrafe aus einem Filmprojekt auszusteigen. Vielleicht bringt #MeToo ja tatsächlich eine Zeitenwende im Business. Diese unerschrockene Oscarpreisträgerin, eine der stärksten Frauen Hollywoods, hat jedenfalls ihren Teil dazu beigetragen.



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