Baden-Württemberg
Giftköder gegen Hunde – Gerüchte oder Wahrheit?
Todesfallen am Wegesrand: Hundehasser legen Köder aus, gespickt mit Nägeln oder Gift – entsprechende Meldungen häufen sich, auch in Südbaden. Wahrheit oder Hysterie? Eine Spurensuche.
Di, 10. Nov 2015, 0:00 Uhr
Südwest
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Hundehalter in Deutschland treibt derzeit eine Sorge um: Köder am Wegesrand, versetzt mit Rattengift, Rasierklingen oder Reißzwecken, ausgelegt von grimmigen Jägern, wütenden Bauern oder bösartigen Hundehassern. Oft liest man dieser Tage von verendeten oder in letzter Sekunde notoperierten Tieren. Die Landestierschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Cornelie Jäger, sagt: "Man kann durchaus von einer Eskalation sprechen."
Darum hat Ziemer auf dem Hof in ihrer Hundeschule im Industriegebiet in Freiburg-Hochdorf Köder verteilt. Vier junge Frauen spazieren mit ihren Tieren über das Gelände, vorbei an Lkw-Anhängern, Laderampen und mit Flechten überwucherten Gastanks. Nur wenn die Hunde die Leckerli fressen wollen, spritzt Ziemer sie nass. "Sie sollen lernen: Futter vom Boden ist nicht gut, da passiert etwas", sagt Ziemer. Lieber ein erschrockener Hund als ein toter. Der Kurs findet an drei Wochenenden statt, mit verschiedenen Übungen an verschiedenen Orten, etwa in der Hundeschule oder im Wald. Variation sei für die Hunde sehr wichtig, sagt Ziemer. Übt man etwa immer am selben Ort, merken sich die Tiere das. Sie wissen dann, was von ihnen genau dort erwartet wird. Schon auf der anderen Straßenseite halten sie sich dann aber nicht mehr daran. "Die Hunde müssen lernen", sagt Ziemer, "dass diese Regeln universal gelten."
Als Nächstes ist der Dackel dran. Er fiept und setzt seinen langgezogenen Körper langsam in Bewegung. Doch die Wurst am Boden interessiert das Tier gar nicht, so oft ihn die Halterin auch daran vorbeiführt. Ein zweiter Ridgeback und ein Sheltie, eine Art Collie im Miniaturformat, warten.
Ziemer hat es schon selbst erlebt: Einer ihrer früheren Hunde fraß Rattengift. "Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmt", sagt sie. Das Tier habe dann Erde gefressen, um zu erbrechen. Dann wurde er operiert und gerettet. Ob das Gift böswillig ausgelegt war oder etwa von der Stadt zur Schädlingsbekämpfung, kann Ziemer nicht sagen. Den anderen Halterinnen ist das noch nicht passiert. Aber jeder hier hat Freunde oder Verwandte, deren Hunde schon präparierte Köder fraßen. "Man hört es immer wieder", sagt eine Frau.
Der Dackel hat inzwischen genug von der Übung und setzt einen Hundeblick auf. Der Sheltie trippelt aufrecht und stolz. Nur eine der Ridgebacks ist auch durch Wasser und Büchsen nicht vom Köder abzubringen. Dann zeigt Ziemer, wie man mit Signalwörtern und dem eigenen Körper auf die Tiere einwirkt.
Etwa sieben Millionen Hunde gibt es einer Studie zufolge in Deutschland, jeder siebte Deutsche lebt mit einem Hund im Haushalt. Viele der Tiere sind mehr als Wachhunde: Sie sind Familienmitglieder. Viele Halter sind darum in Sorge. Die äußern sie im Internet. Für fast jede Stadt in Deutschland gibt es einen Giftköder-Radar auf Facebook, Seiten, auf denen Halter sich gegenseitig warnen. "Vorsicht, an der Dreisam wurden Köder ausgelegt!", heißt es dann. Sie posten auch Bilder, zum Beispiel von mit blauen Kügelchen präpariertem Hackfleisch. "Allein in diesem Jahr gab es bereits mehr als 2100 Giftanschläge auf Hunde", steht dort. Woher Bilder oder Zahl stammen, ist aber unklar. Eine Quelle wird nicht angegeben.
Im Polizeipräsidium Freiburg muss man überlegen. "Es kommen immer wieder Gerüchte auf", sagt ein Sprecher. Zuletzt wurden in Weil am Rhein Köder gefunden, die mit Nägeln versehen waren. "Da war es eindeutig." In vielen Fällen bestätige sich der Verdacht aber nicht. "Nachzuweisen ist so etwas ganz, ganz schwer", sagt der Sprecher. Auch hier verfügt man über keine Zahlen. Das liegt daran, dass die Polizei die bestätigten Fälle als Sachbeschädigungen zählt. Die Angriffe auf Hunde verschwinden in der gröberen Statistik, die zunächst nicht zwischen kaputtem Handy und getötetem Hund unterscheidet.
Auch in der Tierklinik Landwasser in Freiburg kann man die Vermutungen nicht bestätigen. "Bei uns hat es in den letzten Jahren keinen Anstieg von Vergiftungsfällen gegeben", schreibt ein Mitglied der Verwaltung. "Schon gar keine Fälle mit Nägeln oder Rasierklingenködern." Vielleicht hänge das mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten zusammen, etwa über Facebook.
Gibt es immer mehr solcher hinterhältigen Angriffe? Das lässt sich weder widerlegen noch beweisen. Fest steht: Die Menschen waren noch nie so gut vernetzt und online so aktiv wie heute. Einen kurzen Post oder ein Foto in den sozialen Medien abzusetzen, kostet kaum Mühe. Eine intensive Prüfung, ob jede Warnung gerechtfertigt ist, dagegen schon. Die Hundehalter gehen lieber auf Nummer sicher.
Und nicht immer sind es Gift oder scharfe Gegenstände. Der Dackel bei Sonja Ziemer etwa fraß oft Walnüsse aus dem Garten. Das ist gefährlich, weil ein Hund sie nicht verdauen kann. Dann sind teure Operationen nötig. Der Hund lernte nichts daraus. Das Training schade auf jeden Fall nicht, sagt die Halterin. Der Dackel gähnt. Für heute hat er seine Lektion gelernt.
- Weil am Rhein: Warntafeln und Wurststücke sorgen für Verunsicherung
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