Pater Heinrich Middendorf
Geschichte? Nicht nur in Schulbüchern!
Auf dem Schulweg fällt mein Blick auf die Seniorenwohnanlage "Pater Middendorf" in Stegen. Ich wohne direkt gegenüber, laufe jeden Tag mehrmals daran vorbei und jedes Mal frage ich mich: Wer ist dieser Mann? Was hat er so Großartiges getan, dass diese Wohnanlage nach ihm benannt wurde? Mein Ziel war es, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen und ich entdeckte für mich überraschende Zusammenhänge zwischen meiner Schule, Pater Middendorf und sogar der Badischen Zeitung.
Elena Schweizer, Klasse 8c & Kolleg St. Sebastian Stegen
Di, 3. Apr 2012, 11:02 Uhr
Schülertexte
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Während des Zweiten Weltkrieges bot er Menschen jüdischer Abstammung und in Not geratenen Kindern und Familien Unterschlupf, wodurch er sein Leben für andere riskierte. Unterschlupf fanden Lotte Paepcke, welche zu ihrer Zeit eine bekannte Schriftstellerin war, und deren Sohn Peter, zudem die Geschwister Eva und Dieter Bachenheimer sowie Ursula Gießler, deren Ehemann Rupert Gießler von Beruf Journalist war. Allerdings bekam er wegen seiner jüdischstämmigen Frau Berufsverbot. Er fand keine Arbeit, bis er in Colmar offiziell als Sekretär angestellt wurde, doch in Wirklichkeit als Chefredakteur tätig war. Nach dem Krieg wurde Rupert Gießler dann Mitgründer und Chefredakteur der Badischen Zeitung.
Durch Zufall oder Absicht gelangten diese Menschen nach und nach zum heutigen Kolleg St. Sebastian, wo sie großherzig von Pater Middendorf aufgenommen wurden. Ebenso fand der Halbjude Gerhard Zacharias in Stegen Unterschlupf, zunächst sogar bei der Frau des damaligen nationalsozialistischen Bürgermeisters Franz Metzger, der zu der Zeit im Krieg kämpfte. Als später die polizeilichen Kontrollen schärfer wurden, versteckte sich Zacharias dann im Kloster. Wie er berichtete, war es "sicherer" und besser, wenn die Menschen nichts übereinander wussten. Meine Großmutter hielt sich in der Zeit oft im Kloster auf, da sie als Mädchen im Kirchenchor sang. Sie erzählt, dass die Leute im Dorf schon wussten, dass Menschen im Kloster der Herz-Jesu Priester versteckt wurden, jedoch niemals jemand auf die Idee gekommen wäre, sie an die Geheime Staatspolizei zu verraten.
Auch wusste Gerhard Zacharias damals, wie er Neugierige vertreiben konnte. Wenn ihn jemand fragte, weshalb er nicht im Krieg kämpfte, hustete er ihm kräftig ins Gesicht und meinte darauf, er habe offene Tuberkulose, was damals eine weit verbreitete und gefürchtete Krankheit war, so dass sich der Frager meistens schnell wieder entfernte.
Am 27. November 1944 wurde Freiburg bombardiert und ungefähr 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. Doch wie durch ein Wunder wurden Lotte Paepcke, die sich zu der Zeit im Krankenhaus in Freiburg aufhielt, und auch Gerhard Zacharias, welcher Bekannte besuchte, nicht verletzt und beide erreichten zwar geschwächt, doch unversehrt wieder das Kloster.
Als am 23. April 1945 die Franzosen auch in Stegen einzogen und der Krieg endlich vorbei war, sprach Pater Middendorf mit den Franzosen, dadurch wurde die Atmosphäre lockerer. Die französischen Soldaten waren freundlich und ließen die Kinder sogar auf den Panzern spielen.
Pater Heinrich Middendorf arbeitete später unter anderem auch als Missionar im Kongo und starb 1972 im Herz-Jesu-Kloster in Hantrup (Norddeutschland). Erst 22 Jahre danach wurde er für seinen Einsatz geehrt und bekam als erster deutscher christlicher Priester den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" verliehen – als Auszeichnung für Menschen, die Juden halfen, obwohl sie dadurch ihr eigenes Leben gefährdeten. Er erhielt eine Medaille und eine Ehrentafel in der "Allee der Gerechten" in Jerusalem. Dort kann man nun seinen Namen zwischen den Namen derer sehen, die sehr couragiert für die damals verfolgten Menschen jüdischen Glaubens ihr Leben riskierten.
Der ehemalige Kollegs-Lehrer Pater Bernd Bothe setzte sich ausführlich mit dieser Geschichte auseinander, trug die Berichte der Zeitzeugen zusammen und schrieb darüber ein Buch. Auf die Frage, warum er dieses Buch geschrieben habe, erklärt er, dass Erinnerung das Geheimnis der Erlösung sei, vor allem die Erinnerung an gefährdete Menschen.
Ich finde, Pater Middendorf ist ein Mensch, an den man sich erinnern sollte, weil er sein Leben für andere Menschen einsetzte und vorbildlich mit Zivilcourage gehandelt hat. Gehe ich jetzt an der Namenstafel der Seniorenwohnanlage vorbei, bin ich froh, dass wir ihm in Stegen ein Andenken bewahren.
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