"Es ist normal, verschieden zu sein"
ZISCHUP-GESPRÄCHzum Thema Inklusion mit dem Technischen Leiter sowie drei Mitgliedern des Werkstattrats der Lebenshilfe Kinzig- und Elztal.
Pia Maly und Jule Singler, Klasse R9b, Schulzentrum Oberes Elztal (Elzach)
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Was bedeutet eigentlich Inklusion? Und wie wird sie von der Lebenshilfe gefördert? Zu diesem Thema haben die Zischup-Reporterinnen Pia Maly und Jule Singler aus der Klasse R9b des Schulzentrums Oberes Elztal mit den Mitgliedern des Lebenshilfe-Werkstattrats für behinderte Menschen (WfbM) Elzach, Rebecca Siegmund und Benedict Wehrle und Clemens Schätzle, sowie Berthold Schätzle, dem Technischen Leiter der Lebenshilfe Kinzig- und Elztal, ein Gespräch geführt.
Siegmund und C. Schätzle: Wir sind für unsere Kolleginnen und Kollegen in der Werkstatt zuständig, wenn sie beispielsweise Probleme haben. Außerdem planen wir Dinge wie die Weihnachtsfeier, aber auch den normalen Alltag. Der Werkstattrat ist vergleichbar mit dem Betriebsrat und hat mittlerweile auch sehr viel Mitbestimmungsrecht.
Zischup: Wie wird man Mitglied im Werkstattrat?
Wehrle und C. Schätzle: Alle vier Jahre wird neu gewählt. Bis auf den Berufsbildungsbereich darf sich jeder aufstellen lassen. Dafür braucht man jedoch mindestens drei Befürworter. Es dürfen keine Betreuer, sondern nur behinderte Menschen wählen. Die drei, die die meisten Stimmen haben, gehören dann zum Werkstattrat.
Zischup: Sind im Werkstattrat auch nichtbehinderte Menschen?
Siegmund und Wehrle: Im Werkstattrat sind ausschließlich Menschen mit einer Behinderung. Jedoch haben wir Vertrauenspersonen, die für uns zuständig sind. Wenn wir mal nicht weiterkommen, können wir auf sie zurückgreifen.
Zischup: Haben Sie viel Kontakt zu nichtbehinderten Menschen?
Siegmund, C. Schätzle und Wehrle: Ja, privat ziemlich viel.
Zischup: Herr Schätzle, seit wann arbeiten Sie mit behinderten Menschen und was genau hat Sie dazu gebracht?
B. Schätzle: Ich arbeite schon ziemlich genau 20 Jahre in der Lebenshilfe. Zuerst war ich in Elzach als Gruppenleiter tätig, und später kam ich dann nach Haslach. Durch eine Stellenanzeige bin ich zufällig darauf gekommen. Bis auf einen Menschen in meinem familiären Umfeld hatte ich zuvor nur wenig Kontakt zu Menschen mit einer Behinderung. In der Lebenshilfe habe ich dann hospitiert und festgestellt, dass dies ein toller Job ist und ich das beruflich machen möchte.
Zischup: Was heißt Inklusion?
B. Schätzle: Mit einfachen Worten erklärt: Es ist ganz normal, verschieden zu sein. Für mich persönlich sagt dieser Satz fast alles. Wir sind eine bunte Gesellschaft, in der es verschiedenste Menschen gibt, sei es eine Behinderung, unterschiedliches Alter, verschiedene Religionen oder auch die Sexualität, die uns voneinander unterscheidet. Inklusion bedeutet daher, dass alle an der Gesellschaft teilhaben können, ohne ausgegrenzt zu werden. Viele deuten das Wort Inklusion auch so, dass jeder so akzeptiert wird, wie er ist. Dennoch gibt es Regeln und gewisse Grenzen. Nicht jede Äußerung oder Verhaltensweise kann man unter dem Schutzmantel "Du musst mich so akzeptieren, wie ich bin" hinnehmen. Inklusion ist ein sehr breites Gebiet.
Zischup: Wie versucht die Lebenshilfe, die Inklusion zu fördern?
B. Schätzle: Die Lebenshilfe ist zum einen eine Werkstatt, also ein Arbeitgeber. Zum anderen ist sie aber auch ein Verein, zu dem die ganzen Wohnformen gehören. Innerhalb der Werkstatt versuchen wir, durch Öffentlichkeitsarbeit, wie den Tag der offenen Tür, Kunstausstellungen oder die Teilnahme am Kinzigtallauf oder am Martinimarkt, Menschen mit Behinderungen in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Ein wichtiges Instrument ist die Möglichkeit ausgelagerter Arbeitsplätzen. Hier haben wir Mitarbeiter, die nur ein paar Stunden oder bis zu vier Tage pro Woche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Sie werden immer noch von uns unterstützt und begleitet und haben Kontakt zu ihren Kollegen und Freunden in der Werkstatt. Diese Struktur gibt die notwendige Sicherheit. Einige unserer Mitarbeiter haben durch diese Möglichkeit auch schon den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft.
Auch im Wohnbereich versuchen wir auf vielen Ebenen, die Inklusion zu fördern. Im Wohnhaus zum Beispiel, in dem die Leute selbst einkaufen gehen oder mit den Betreuern öffentliche Veranstaltungen besuchen. Wir haben auch Menschen bei uns mit einer eigenen Wohnung, die von uns unterstützt werden. Es gibt auch die Möglichkeit einer Wohnschule. Einige wohnen in einer Wohngemeinschaft oder einem Appartementhaus. Es gibt viele Wohnformen. Wir unterstützen dabei, die jeweils passende zu finden und begleiten je nach Hilfebedarf.
Zischup: Leider gibt es Menschen, denen die Akzeptanz gegenüber behinderten Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund fehlt. Wie können Sie sich diese Sichtweise erklären?
B. Schätzle: Ich denke, wir müssen das zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund trennen. Ich vermute, dass es immer noch viel Unsicherheit und Unwissenheit gibt, wie man sich Menschen mit einer Behinderung gegenüber verhalten soll. Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber gibt es, glaube ich, viele Ängste: Verlustängste, den Arbeitsplatz oder die Wohnung zu verlieren. Zudem sehe ich noch kulturelle Unterschiede, die ebenfalls Ängste verursachen können.
Zischup: Welche Möglichkeiten gibt es, Inklusion zu unterstützen?
B. Schätzle: Inklusion bedeutet, dass jeder akzeptiert, dass es normal ist, verschieden zu sein. Da kann jeder bei sich selbst anfangen. Man sollte akzeptieren, dass es unterschiedliche Menschen und keine Norm gibt. Mit dieser Sichtweise kann man schon dazu beitragen. Es gibt viele, die sich ehrenamtlich engagieren. Es hört sich jetzt vielleicht banal an, aber wenn jemand aus einem unserer Wohnhäuser mal ins Kino möchte, braucht er jemanden, der mit ihm mitgeht, weil wir nicht jedem einzelnen einen Betreuer für die notwendige Unterstützung zur Seite stellen können.
Zischup: Was sollte Ihrer Meinung nach die Politik tun, um die Inklusion behinderter Menschen voranzubringen?
B. Schätzle: Die Politik versucht und macht sehr viel dafür. Es gibt zum einen die UN-Behindertenrechtskonvention, die die Integration behinderter Menschen fördert. Das ist ein guter Ansatz. Zum anderen gibt es das BTHG, das Bundesteilhabegesetz. Meiner Meinung nach scheitert es aber noch ein wenig an der Umsetzung des Projektes. Inklusion gibt es eben nicht zum Nulltarif, und wenn man Inklusion möchte, muss man da rein investieren. Zudem finde ich es schade, dass durch mehr Bürokratie eher Barrieren auf- statt abgebaut werden.
Zischup: Sie arbeiten schon längere Zeit mit behinderten Menschen. Können Sie rückblickend eine Veränderung im Umgang der Gesellschaft mit diesen Menschen feststellen?
B. Schätzle: Hier, in der Region erfahren behinderte Menschen schon immer eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung. Das finde ich gut so. Wo ich eine deutliche Veränderung sehe, ist in der Werkstatt. Als ich bei der Lebenshilfe angefangen habe, hatte die Werkstatt noch mehr einen beschützenden Charakter. Heute wollen die jungen Leute, die zu uns kommen, mehr Inklusion. Hier sehe ich auf jeden Fall eine starke positive Entwicklung.
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