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"Es geht ums gegenseitige Kennenlernen"

BZ-SERIE (TEIL 14 UND SCHLUSS): Stefanie von Mertens begleitet die Jugendlichen in der Freiburger Fußballschule pädagogisch.  

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Angesichts der Debatte um die Flüchtlinge fragen wir Deutsche uns: Welche Werte sind uns wichtig, welche Traditionen und Konventionen wollen wir eingehalten wissen? Um das zu erfahren, lassen wir Menschen aus Südbaden erzählen.

"In der Freiburger Fußballschule geht es neben den sportlichen Aspekten auch darum, ein Zusammenleben mit Jugendlichen, Trainern, Betreuern, medizinisch-therapeutischem Personal und Pädagogen zu organisieren. Das beinhaltet sehr viel Praktisches, aber auch Selbstverständliches. Wir müssen das Haus organisieren: An sieben Tagen in der Woche müssen wir eine 24-Stunden-Betreuung gewährleisten. Und es geht darum, wie wir als Mitarbeiter die Arbeit mit den Jungs sehen – und was diese erwarten. Und das nicht nur sportlich.

Wir verstehen uns hier als Zusammenlebende. Demzufolge betrachten wir die Jungs nicht nur als Fußballspieler, sondern als Kinder und Jugendliche, die ein Elternhaus haben und bei uns das Fußballspielen lernen. Das Altersspektrum ist dabei weit gefasst. Wir fangen in der Fußballschule mit der U 12 an und das geht bis zur U 19. Wobei die U 23, die zweite Mannschaft des SC Freiburg, auch noch bei uns trainiert. Im Internat leben indes nur Jugendliche aus der B- und A-Jugend. Das heißt: Ein Internatsschüler ist mindestens 15 Jahre alt und verlässt das Internat mit 19 Jahren. Schafft er den Sprung in die zweite Mannschaft, nimmt er sich also ein Zimmer, zieht in eine WG oder geht wieder nach Hause, je nachdem.

Wir haben im Haus einen ganzheitlichen Ansatz. Die Trainer müssen über die Jugendlichen Bescheid wissen – über das Elternhaus, die Schule, ihre Interessen, ihre Sorgen und Nöte. Die Jungs brauchen Zuhörer, zu denen sie Vertrauen haben, mit denen sie sich austauschen können. Das tun wir ständig und sehen die Jugendlichen mit all ihren Facetten.

Natürlich haben wir als äußeren Rahmen eine Hausordnung, die respektiert werden muss. Da geht es um Nachtruhe, um Lautstärke im Zimmer oder um Küchendienst. Da stehen Werte dahinter, die aber mit viel Toleranz gepaart sind. Dabei machen wir auch keine Unterschiede zwischen den Religionen. Bei uns gibt es christlich erzogene Jugendliche, muslimisch erzogene und solche, bei denen Religion gar kein Rolle spielt. Wir müssen nicht jeden Tag sagen, dass wir den jeweils anderen respektieren oder achtsam mit ihm umgehen. Wir tun es.

Zum Beispiel haben wir Jungs, die den Ramadan einhalten, also tagsüber fasten. Die essen dann erst nach Sonnenuntergang. Wieder andere wollen am Firmunterricht der katholischen Kirche teilnehmen und dazu freigestellt werden. Auch dafür finden wir natürlich Lösungen. Die Werte, die wir uns in der Fußballschule geben, erklären sich eigentlich von selbst. Das macht die Arbeit hier einfach und darauf achten alle hier, inklusive der Jugendlichen selbst.

Auch wenn einer mal gegen den Wertekanon verstößt, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn als Person nicht achte und respektiere. Selbst bei einem groben Vergehen, wenn es ein solches überhaupt mal geben sollte, würden wir versuchen, die Sache konstruktiv zu regeln. Man muss ja wissen: Jugendliche testen in diesem Alter Grenzen aus – und dabei werden diese auch mal überschritten. Jeder kennt das von sich selbst.

Selbstverständlich finden auch bei uns Pubertätsauseinandersetzungen statt. Aber das ist für uns nicht immer gleich das große Werteprogramm. Da geht’s um Absprachen, die verhandelt werden müssen, wenn sie nicht eingehalten werden. Wenn einer nicht für die Schule lernt, immer wieder zu spät kommt, mich nicht über schlechte Noten in der Schule informiert, dann hat das nichts damit zu tun, ob er mich als Person respektiert oder nicht. Er hat’s dann vergessen, ist faul oder denkt sich: na ja, ein andermal halt. Da ist unser Alltag.

Die Würde des Menschen, also das, was allem zu Grunde liegt, ist nicht verhandelbar. Wenn bei uns einer dagegen verstoßen würde, hätte das natürlich schwerwiegende Konsequenzen. Es ist mir in diesem Zusammenhang daher schon wichtig, dass wir darauf achten, wie man übereinander, über Menschen spricht.

Auch Dinge, die sich im Sprachgebrauch eingeschliffen haben, sollten nicht völlig kritiklos hingenommen werden. Ich finde es zum Beispiel befremdlich, wenn man über Jugendliche nur unter der Nennung ihres Nachnamens spricht. Was hat man früher über Feministinnen gelacht, über das Anhängen von -innen, und doch haben sich über die Zeit Dinge zum Positiven verändert. Sich diesbezüglich zu hinterfragen, ist nie ein Fehler. Ich finde, Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen ist ein geradezu ideales Mittel der Verständigung und damit der Überwindung von Grenzen. Auch und gerade in kultureller Hinsicht. Es geht schlicht und einfach ums gegenseitige Kennenlernen.

Ich war als Studentin ein Jahr in Paris und habe im 18. Arrondissement gewohnt, einer im Grunde recht dunklen Gegend. Da hatte ich bisweilen Angst vor Afrikanern, die da wohnten und meist in Gruppen aufgetreten sind. Die meisten davon arbeitslos. Was sollten sie also tun, als sich zu treffen? Erst als ich später über den Fußball nach Afrika gekommen bin und die Lebensbedingungen und -verhältnisse dort sah, habe ich viel gelernt. Über die Kultur, die Politik – und die Sorgen der Menschen, die meist wirtschaftlich bedingt sind. Da erklärt sich dann schnell vieles.

Fußball, das ist ganz normaler Alltag. Bewusste und angeleitete Integrationsarbeit würde ein Teil der Jungs wieder auf eine Art isolieren. Wir leben hier einfach zusammen, wie in einer Familie. Und ich glaube, wir machen das gut."

Einen Leitartikel zum Thema unserer Serie lesen Sie am Samstag im Politikteil. Alle Folgen der Serie finden Sie unter mehr.bz/dafuersteheich

Stefanie von Mertens

Ihr obliegt zusammen mit Markus Kiefer die pädagogische Leitung der Freiburger Fußballschule, die der Sportclub im September 2001 im Möslestadion beim Waldsee eröffnete. Die Freiburger Fußballschule mit angegliedertem Internat gilt bundesweit als eine der vorbildlichsten in der Jugendarbeit und Nachwuchsförderung durch einen deutschen Profi-Fußballklub. Mehrfache Auszeichnungen belegen dies. Daneben ist die 47-Jährige auch zuständig für den Deutschunterricht für ausländische Profis und die Integration derer Familien. Stefanie von Mertens, die aus Mühlheim bei Tuttlingen stammt und seit 1997 beim Sportclub angestellt ist, hat in Freiburg und Paris Germanistik und Romanistik studiert.

Ressort: SC Freiburg

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