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"Es geht um Genuss, nicht Konsum"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Biersommelier Jan Czerny über Geschmacksknospen und den Unterschied zwischen Gerstensaft und Wein.  

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Jan Czerny Foto: Privat

Jan Czerny (52) lebt mit seiner Familie in Denzlingen. Er ist Biersommelier und arbeitet in Basel in der Brauerei "Unser Bier AG". Zu seiner Arbeitsstelle pendelt er regelmäßig mit dem Fahrrad. Czerny hat bereits drei Mal an einer Biersommelier-WM teilgenommen und belegte 2011 den fünften Platz. Das Interview mit ihm führte Bastian Durst, der schon wegen seines Nachnamens geradezu prädestiniert dafür war. Er geht in die Klasse 9a des Erasmus-Gymnasiums in Denzlingen.

Zischup: Wie wird man Bierbrauer?
Czerny: Da gibt es den Ausbildungsweg "Brauer und Mälzer". Dies ist eine dreijährige Ausbildung. Wenn man das Abitur hat oder eine Fachhochschulreife, dann verkürzt sich diese auf zwei Jahre.

Zischup: Wie wird man Biersommelier?
Czerny: Zum Biersommelier macht man eine Weiterbildung. Das ist eine zweiwöchige Intensivausbildung, die in München und in Salzburg stattfindet. Das Biersommelier-Diplom kann jeder machen, aber es ist natürlich hilfreich, wenn man schon eine Vorbildung als Bierbrauer oder Biermeister oder vielleicht als Getränkefachwirt hat. Oder wenn man als Kaufmann in einer Brauerei arbeitet, so dass man wenigstens schon einen Zugang zu dem Produkt Bier hat.

Zischup: Spucken die Biersommeliers das Bier beim Probieren auch wieder aus so wie die Weinsommeliers?
Czerny: Nein! Beim Bier ist es wichtig, dass wir das Bier auch runterschlucken. Bier enthält CO2 und dieses CO2 ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Sensorik, also der Möglichkeit, dieses Produkt in seiner Ganzheitlichkeit zu erfahren. Man hat verschiedene Möglichkeiten, sensorisch ein Bier kennenzulernen. Ein wichtiger Aspekt ist das CO2, was dazu dient, dass ein Bier spritzig wirkt, was man dann gut erkennt, wenn man es herunterschluckt. Außerdem gibt es dabei einen Effekt, den man retro-nasal nennt: Erst durch das Schlucken und das anschließende Ausatmen werden bestimmte Aromen sowie Geruchs- und Geschmacksknospen aktiviert. Durch den Antrunk schmeckt man die Süße, durch den Abgang, also das Schlucken, schmeckt man die Bitterstoffe, und durch das Retro-Nasale, also das Ausatmen nach dem Schlucken, wird der Weg frei für eine noch feinere Sensorik.

Zischup: Wie kommen Sie an die vielen verschiedenen Biersorten?
Czerny: Durch Freundschaften und neue Kontakte, aber auch neue Einkaufsmöglichkeiten und das Internet. Hier in Denzlingen pflege ich engen Kontakt zum Getränkehändler Stadelbauer. Kai Stadelbauer hat eine riesige Bierauswahl. Er bekommt von seinen Lieferanten auch immer einmal Kostproben und die gibt er mir gerne weiter. Auch in meiner Brauerei in Basel bekomme ich gelegentlich Bier geschenkt, und zwar von Gästen und Bierliebhabern.

Zischup: Seit Beginn des 16. Jahrhunderts gilt das sogenannte "Deutsche Reinheitsgebot" beim Bierbrauen. Dies ist mittlerweile in eine Art deutsches Kulturgut übergegangen. Welche Vor-und Nachteile hat das Reinheitsgebot?
Czerny: Gute Frage! Das Reinheitsgebot ist das älteste noch existierende Lebensmittelgesetz der Welt. Es dient einerseits dem Konsumenten als Verbraucherschutz, denn jeder weiß genau, dass, wenn ein Bier in Deutschland gebraut worden ist, es keine weiteren Zusatzstoffe enthält. Es ist sozusagen ein Verbraucherschutzgesetz. Wenn jemand Allergien haben sollte, hat er damit eine gesundheitliche Sicherheit. Wenn man jetzt ein Bier kauft, das nicht danach gebraut wurde, dann könnten da weitere natürliche Zutaten drin sein, zum Beispiel Austernschalen oder Grapefruitsaft oder Reis als weiterer Getreiderohstoff. Darüber hinaus könnten aber auch Zucker, Konservierungsstoffe, Farbstoffe und weitere chemische Bestandteile hinzugefügt werden. Ein Nachteil des deutschen Reinheitsgebots ist allerdings, dass der Brauer nicht ganz so kreativ arbeiten kann wie seine ausländischen Kollegen. Im Ausland kann man Kaffee und Nüsse et cetera hinzusetzten, wenn man denkt, dass es das Bier aufwertet. Ich plädiere für ein Reinheitsgebot, das einem Natürlichkeitsgebot entspricht, sodass man ausschließlich natürliche Stoffe ins Bier hinzugeben dürfte, verarbeitete Rohstoffe wie Zucker oder Farbstoffe aber nicht.

Zischup: Wie viele Brauereien und Biersorten gibt es etwa allein in Deutschland?
Czerny: Es gibt etwa 1240 Brauereien. Wie viele verschiedene Biere dort hergestellt werden, das weiß ich nicht. Ich würde sagen: auf jeden Fall über 10 000.

Zischup: Gibt es Länder, die besondere Biere hervorbringen, die wir aber gar nicht auf dem Schirm haben?
Czerny: Jedes Land hat seine eigene Bierkultur. Die deutsche, englische, belgische und tschechische Bierkultur ist unter Bierliebhabern weltweit bekannt. Ich gehe hier nur auf die belgische Bierkultur ein: Viele belgische Biere stehen in der Tradition des Starkbieres und haben mehr als sech Volumenprozent Alkohol. Außerdem gibt es in Belgien die alte Tradition, dass man dem Bier Früchte zusetzt. Hauptsächlich Kirschen! Das Kirschbier, welches sich Kriek nennt, ist sehr bekannt. In Belgien gibt es zusätzlich noch Sauerbiere, bei denen der pH-Wert so niedrig ist, dass es sich anfühlt, als ob man einen Essig trinken würde.
Zischup: Beim Essen kann man ja zu jedem Gang einen dazu passenden Wein bekommen. Ist das mit Bier auch möglich?
Czerny: Ja! Bier ist passender zu Speisen als Wein. Da widerspricht eigentlich auch kaum noch ein Weinsommelier oder ein Winzer. Bier passt besser zu unterschiedlichsten Speisen, weil es viel mehr unterschiedlich schmeckende Biere als Weine gibt. Das fängt schon allein mit der Farbe an: Ein Bier kann strohgelb sein, aber über verschiedenste Gelb-, Braun- und Dunkeltöne bis hin zu Tiefschwarz gehen. Bier hat unterschiedlichste Alkoholgehalte von einem Schankbier mit 2,5 Volumenprozent bis hin zu Bieren, die 12 Volumenprozent haben.

Zischup: Wenn wir beim Vergleich mit dem Wein bleiben: Gibt es auch richtig teure Biere? Was ist der Unterschied zu den günstigeren Bieren?
Czerny: Heutzutage gehen wir davon aus, dass wir die gleichen Marketingeigenschaften haben wie bei Wein. Beim Bier kann man mittlerweile auch mehrere tausend Euro für eine Flasche bezahlen. Das sind dann aber meist Sammlerpreise. Ich habe eine Flasche für 220 Euro geschenkt bekommen. Im freien Verkauf kann man für die ein oder andere Flasche 20 bis 50 Euro ausgeben, aber das ist nicht nötig. Günstige Biere sind Industriebiere, die bei der Herstellung ungefähr drei Woche brauchen, bis sie in den Verkauf kommen. Ein handwerklich hergestelltes Bier braucht Minimum fünf bis sechs Wochen. Je schneller man ein Produkt herstellt, desto günstiger ist es, denn es benötigt weniger Zeit- und Energieaufwand und weniger Personal zur Herstellung. Beim Vergleich in einer Verkostung schmeckt man hierbei deutliche Unterschiede. Industriebiere sind langweilig, da sie keine Charakteristik in der Sensorik und im Geschmack aufweisen, und es fehlt ihnen an Ecken und Kanten. Ein handwerkliches Bier zeigt diese: Es schmeckt für den einen zu bitter, für den anderen zu süß, zu intensiv insgesamt, und genau das macht ein Produkt ja eigentlich aus. Letztendlich geht es um den Genuss und nicht darum, ein Produkt lediglich zu konsumieren. Auch junge Menschen sollten so schnell wie möglich an den Punkt kommen, mit Genuss und etwas Gutes zu trinken. Also kein 08/15-Bier vom Discounter, sondern eines zum Genießen vom Getränkehändler – auch wenn das deutlich teurer ist. Das sollte es einem wert sein.

Zischup: Weißwein soll man kalt trinken, Rotwein eher zimmerwarm. Es gibt so viele Biersorten – sollte man die auch unterschiedlich kalt trinken, damit der Geschmack besser herauskommt?
Czerny: Bier sollte man generell gekühlt trinken. Normalerweise sagt man um die acht Grad Celsius, aber ich gehe da gern zwei Grad höher. Je stärker das Bier ist, desto besser schmeckt es, wenn es wärmer ist. Ein bisschen geht es auch nach dem Bierstil. Wenn man beispielsweise ein Imperial Stout mit 12 Volumenprozent Alkohol wie das Guinness aus Irland trinkt, kann man das auch mit 18 Grad Celsius tun.

Zischup: Gibt es "Moden" beim Bier? Wo geht derzeit der Trend hin?
Czerny: Die Trends kommen und gehen. Momentan ist das trendigste Bier in der Bierszene das sogenannte Naipa New England IPA (Indian Pale Ale). Das ist ein faszinierender Bierstil, der sehr trüb ist und stark Richtung tropischer Früchte, wie Ananas, Litschi und Papaya riecht. Vom Mundgefühl schmeckt es süßlich und fruchtig und ist im Abgang ziemlich bitter. Andere Trends sind momentan holzfassgelagerte Biere und Sauerbiere.

Zischup: Haben Sie ein Lieblingsbier?
Czerny: Nein, habe ich nicht – eher eine Lieblingsbrauerei oder Lieblingsbierstile. Ein Bierstil ist beispielsweise ein Pils, ein Helles, ein Weizenbier oder ein Stout um nur ein paar von den über 130 Bierstilen zu nennen. Mein momentaner Favorit ist das eben erwähnte IPA sowiew klassische, helle Biere. Zu meinen Lieblingsbrauereien gehören: De Molen aus Holland und Brewdorf aus Schottland. Für mich ist abschließend noch einmal der Unterschied zwischen handwerklich hergestellten und Industriebieren hervorzuheben. Der Verbraucher schaut zwischenzeitlich vermehrt auf die Herkunft seiner Lebensmittel und stellt sich die Fragen: Wo kommen meine Speisen her? Was für Fleisch konsumiere ich? Sind meine Milch und mein Käse regional? Beim Bier ist all das ebenso interessant zu wissen. Eine Stufe weiter im Gedankengang wäre dann die Überlegung, ob die Zutaten bio sind. Gerade in der heutigen Zeit finde ich es ganz wichtig, dass man sich damit auseinandersetzt.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 17. Dezember 2021: PDF-Version herunterladen

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