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"Eine dramatische Entwicklung"

Zahl der Organspender in Deutschland sinkt auf niedrigsten Stand seit 20 Jahren / Am heutigen Samstag ist Tag der Organspende.  

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797 Organspender gab es 2017 in Deutschland.  | Foto: Adobe.com
797 Organspender gab es 2017 in Deutschland. Foto: Adobe.com

LEIPZIG (AFP/dpa). Wenn ein Mensch stirbt, kann er anderen das Leben retten: als Organspender. Die meisten Deutschen finden das gut, trotzdem wird kaum einer Spender. 2017 hat die Zahl der Organspender in Deutschland sogar einen neuen Tiefstand erreicht.

Wie viele Menschen warten
auf ein Spenderorgan?

Bundesweit stehen nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) etwa 10 000 Menschen auf der Warteliste. Täglich sterben im Schnitt drei davon, weil kein passendes Organ zur Verfügung steht. Am häufigsten benötigt wird eine Niere, allein 8000 Schwerstkranke warten darauf – etwa viermal so viele, wie Nieren gespendet werden. Die Wartezeit beträgt im Schnitt etwa sechs Jahre.



Wo kann ich festlegen, dass ich
meine Organe spenden möchte?

Das passiert im Organspendeausweis. Nach einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besitzen nur 36 Prozent der Deutschen einen solchen Ausweis.



Welche Organe können
gespendet werden?

Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Auch Gewebe wie Hornhaut oder Knochen lässt sich verpflanzen. Im Spenderausweis können einzelne Organe ausgeschlossen werden.



Wie viele Spender gibt es?

Als 2012 bekannt wurde, dass Ärzte an mehreren deutschen Universitätskliniken offenbar Patientendaten manipuliert und so die Vergabe von Spenderlebern beeinflusst hatten, brachen die Spenderzahlen massiv ein. Es sieht nicht so aus, als würden sie sich bald erholen: 2017 gab es laut DSO nur noch 797 Spenderinnen und Spender – noch einmal 60 weniger als im Vorjahr (857). Das war der niedrigste Stand seit 20 Jahren. In Deutschland gibt es jetzt weniger als zehn Spender pro eine Million Einwohner – für Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der DSO, "eine dramatische Entwicklung". Die Zahl der gespendeten und an die europäische Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldeten Organe sank auf 2594.



Warum sinken die Spenderzahlen?
Nach Ansicht der DSO nimmt nicht unbedingt die Spendebereitschaft in der Bevölkerung ab. 84 Prozent sehen Organspenden "eher positiv", wie eine neue Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ergab. Die Positiv-Antworten steigen von Jahr zu Jahr. Die Experten sehen vielmehr strukturelle und organisatorische Schwächen in den Kliniken. Von dort gab es in den vergangenen Jahren weniger Meldungen möglicher Organspender. Obendrein können unklare Formulierungen in Patientenverfügungen eine Spende verhindern.

Welche Voraussetzungen
gelten für eine Organspende?

Entweder hat der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt, oder seine Angehörigen stimmen zu. Bevor Organe oder Gewebe entnommen werden kann, müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod eindeutig feststellen. Infrage kommen nur jene Menschen, bei denen der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt. Bei den meisten Menschen hört zuerst das Herz auf zu schlagen, weshalb nur wenige Verstorbene in Betracht kommen.



Können auch ältere Menschen
ihre Organe spenden?

Ja, sofern die Organe gesund sind und bestimmte Infektionskrankheiten ausgeschlossen wurden. Es gibt immer mehr Organspender über 65 Jahre. Da aber die Wahrscheinlichkeit für Begleiterkrankungen steigt, sind bei vielen älteren Spendern weniger Organe für eine Transplantation geeignet.



Was sind die größten Ängste?
Viele Menschen scheuen schlichtweg die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Andere hält eine diffuse Angst vor möglichem Missbrauch oder Organhandel ab – oder sie fürchten, dass im Ernstfall nicht mehr alles medizinisch Notwendige für sie getan wird. Für Laien ist vor allem der Hirntod als Voraussetzung für die Organentnahme oft schwer nachvollziehbar, weil der Verstorbene meist keines der allgemein bekannten Todeszeichen zeigt. Er scheint zu atmen und sein Herz scheint zu schlagen – allerdings nur mit Hilfe von Maschinen und Medikamenten. Den Hirntod müssen zwei Medizinern unabhängig voneinander feststellen. Sollte der Hirntod feststehen, wird der Kreislauf durch künstliche Beatmung aufrechterhalten, damit Organe und Gewebe weiter durchblutet werden.



Gibt es einen Entscheidungszwang
für oder gegen eine Organspende?

Nein. In Deutschland gilt seit 2012 die sogenannte Entscheidungslösung. Jeder über 16 Jahre wird von seiner Krankenkasse aufgefordert, eine freiwillige Erklärung über seine Organspendenbereitschaft abzugeben. Eine Aktion, die nach Schätzung des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen alle zwei Jahre grob geschätzt rund 60 Millionen Euro kostet. Bisher landen die Broschüren bei vielen vermutlich ungelesen im Altpapier. Forderungen nach einer Widerspruchslösung stoßen in der Bundesregierung jedoch auf Ablehnung. Stattdessen gibt es den Tag der Organspende, um mehr Menschen zu sensibilisieren, dieses Jahr am 2. Juni in Saarbrücken.

Was ist eine Widerspruchslösung?
Eine Widerspruchslösung gilt in mehreren europäischen Ländern. Menschen müssen explizit dokumentieren, wenn sie gegen eine Organentnahme nach ihrem Tod sind, sonst werden sie automatisch zum Spender. So ist es in Spanien, Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Österreich und Frankreich geregelt. Europaweit führend ist Spanien mit 46,9 Spendern pro eine Million Einwohner im Jahr. Das jüngste Land in der Reihe sind die Niederlande, wo die Widerspruchsregelung im Februar von der ersten Kammer des Parlaments angenommen wurde. Seither werden die Stimmen lauter, die auch in Deutschland eine Widerspruchslösung fordern. So hat sich der Deutsche Ärztetag in Erfurt Anfang Mai klar dafür ausgesprochen. "Aus medizinischer Sicht, vor allem aber aus Sicht der vielen schwerkranken Patienten auf der Warteliste wäre eine solche Regelung der Idealfall", sagte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 02. Juni 2018: PDF-Version herunterladen

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