Ein weltliches Fegefeuer
THRILLER: "Bad Times at the El Royale" von Drew Goddard ist visuell und erzählerisch brillant.
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Aber nach dem Entzug der Glücksspielgenehmigung ging es steil bergab. Das Edelhotel ist mittlerweile eine Billigabsteige, in der gestrandete und zwielichtige Gestalten für acht Dollar die Nacht unterkommen und nur noch ein einsamer Angestellter (Lewis Pullman) seinen Dienst verrichtet. An diesem Nachmittag checken gleich vier Gäste an der Rezeption ein: Der Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges), der gegen sein schwindendes Gedächtnis ankämpft, die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo), die sich als Backgroundvokalistin durchschlägt, der redselige Staubsaugervertreter Laramie Seymour Sullivan (Jon Hamm) und die coole Hippiebraut Emily Summerspring (Dakota Johnson), die sich schlicht mit "Fuck You" ins Gästebuch einträgt.
Dass die vier Gäste keine gute Zeit miteinander haben werden, ist schon im Filmtitel festgeschrieben. Aber wie sich in "Bad Times at the El Royale" die destruktive Gruppendynamik entfaltet und was Regisseur Drew Goddard aus der Viererkonstellation, die mit einigen wenigen Gastauftritten angereichert wird, herausholt – das ist schon phänomenal und auf einer Strecke von 141 Filmminuten nicht einen Moment langweilig. Goddard ist ein bekennender Genreliebhaber, der mit seinem Regiedebüt "Cabin in the Woods" die Gesetze des Horrorfilms gründlich dekonstruiert hat. Unübersehbar versteht er sich als cineastischer Seelenverwandter von Quentin Tarantino, an dessen "Hateful 8" das klaustrophobische Setting dieses Films erinnert.
Dass hier kaum jemand die Person ist, die er an der Rezeption vorgibt zu sein, wird schon frühzeitig aufgedeckt. Von einem versteckten Gang aus hat der Hotelangestellte dank halbdurchlässiger Spiegel direkten Einblick in jedes Zimmer, und in besonders wichtigen Fällen wird dahinter gar eine Kamera platziert. Nacheinander werden die Räume und ihre Bewohner aus der Voyeursperspektive vorgestellt. Der Staubsaugervertreter, der die Honeymoonsuite nach Wanzen durchsucht, der Priester, der die Dielenbretter seines Zimmers aushebelt, die Hippiebraut, die eine junge Frau als Geisel an den Stuhl fesselt: Sie sind erst der Anfang einer Figurenaufstellung, die zunehmend an krimineller Komplexität gewinnt.
"Bad Times at the El Royale" ist ein Film, der sich der Hierarchisierung in Haupt- und Nebencharaktere verweigert. Geschossen und gestorben wird nicht zwingend entlang der Prominenz und Gehaltsliste der Darsteller. Szenen werden zurückgespult, um sie aus der Perspektive einer anderen Figur zu zeigen. Plotwendungen setzen mit schaffotartiger Schärfe echte Überraschungseffekte frei.
Jede Figur hat eine Vergangenheit, deren Aufdeckung ihr Handeln in neuem Licht erscheinen lässt. Und am Schluss zieht Goddard mit Chris Hemsworth als gewaltbereitem Sektenguru ein As aus dem Ärmel und lässt den Star wieder spektakulär verglühen. Dieser Film glänzt nicht durch ausgeklügelte Subtextgewebe seiner Story, die eher vage um Schuld und Vergebung mäandert und das Hotel als weltliches Fegefeuer in Szene setzt. Vielmehr ragt er mit seiner narrativen und visuellen Brillanz, sichtbaren Freude am cineastischen Erzählen und erfrischenden Offenheit gegenüber den Charakteren aus dem Mainstream heraus.
Und dann ist da noch Cynthia Erivo, die hier in ihrem Kinodebüt enorme Leinwandpräsenz entwickelt und demnächst auch in Steve McQueens "Widows" zu sehen ist. Glücklicherweise gibt Goddard der Tony- und Grammy-Gewinnerin in zahlreichen Gesangseinlagen genug Raum, um ihr musikalisches Talent zu entfalten – und ihre A-cappella-Interpretationen alter Motown-Soul-Songs sind atemraubend.