Ein Leben in Leid und Lüge
Der Comicroman "Parallel" von Matthias Lehmann über einen Homosexuellen, der sich nicht outet.
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Der herausragende Comicroman "Parallel" des Leipziger Künstlers Matthias Lehmann verfolgt, wie Karl vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ruhestand am Zwiespalt seiner Wünsche und Neigungen scheitert. Eine schwarzweiße Grafik mit vielen Grautönen gibt in dem beeindruckenden Werk die Stimmung vor: meist trüb bis drückend. Lehmann, bisher durch die Comicbiographie "Claude Monet" bekannt, fängt meisterlich Situationen und Gefühle ein. Karl mimt beim Ruhestandsumtrunk zwar den Macho. Doch kleine Gesten deuten an, dass er sich windet und unwohl dabei fühlt.
"Parallel" ist ein packendes Porträt, eine Studie des Werksarbeitermilieus, ein Panorama der Nachkriegszeit und eine oft erschreckende Geschichtsstunde. Zu leicht ist vergessen, dass Homosexualität in Deutschland bis 1994 unter Strafe stand. Lange gelten Schwule als "abartig", als "Säue", Homosexualität als Krankheit. Karl wird verprügelt und eingesperrt. Dabei erleidet er noch vergleichsweise wenige Repressalien, weil er sich ja nach außen hin verstellt. Das kann Rudi, der Partner von Heinz – ein Paar, das Karl irgendwann kennenlernt – nicht. Er zerbricht am Druck der Werkskollegen und der Gesellschaft.
Karls Leidensweg beginnt mit dem Soldaten Willi. In den verliebt er sich, wie sich Karl später eingesteht. Noch glaubt er an eine bürgerliche Existenz: "Ich werde mein Mädchen heiraten, wenn ich das hier überstehe." Tut er. Anna, seine Braut, ist die Tochter des Bürgermeisters, eines Patriarchen von altem Schlag. Schon auf der Hochzeit sondert Karl sich ab. Was ihn befremdet, ahnt er wohl. Monate danach, als sein Sohn geboren ist, küsst er auf der Toilette im Wirtshaus erstmals einen Mann – Willis Doppelgänger. Das Gerede über seine Männerkontakte erreicht den Schwiegervater: "Vor ein paar Jahren hätten sie solche wie dich an die Wand gestellt."
Karl muss fliehen. Im zerstörten Leipzig trifft er Lieselotte, heiratet sie und bekommt mit ihr eine Tochter, Hella. Ein neuer Fehlschlag: Das Familienleben spendet ihm keinen Frieden. Er kann Hella kein guter Vater sein. Zerrissen zwischen der Sehnsucht nach Bürgerlichkeit und Verlangen treibt sich Karl ständig herum. Als er den Stricher Helmut als Untermieter in den Haushalt einschleust, zerfällt die Familie vollends. Bei Beginn seines Ruhestands hat Karl von Hella acht Jahre lang nichts mehr gehört und gesehen. An seinem Unglück gibt Karl aber niemandem die Schuld außer sich selbst. Er konnte sich nie durchringen zum Coming Out, ging nur flüchtige Affären ein. "Feigling", schimpft ihn eine davon. Karl, der Pensionär, ist einsam. Den Kampf, der in ihm tobte, hat keine Seite gewonnen. In einem Brief versucht er Hella zu erklären, warum er als Vater versagt hat. Diese Lebensbeichte bildet den Rahmen von "Parallel". Danach bleibt Karl nur noch abzuwarten, ob sich seine Tochter je wieder meldet.
458 Seiten, 29 Euro.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ