BZ-Interview
Fall Armani: Ein Jahr auf der Suche – ohne Erfolg
Seit einem Jahr beißt sich die Polizei am Fall Armani die Zähne aus. Warum findet sie den Täter nicht? Wieso gibt’s keinen Massengentest? Thomas Schönefeld, der Leiter der Ermittlungsgruppe, im Interview.
Charlotte Janz
Di, 21. Jul 2015, 0:00 Uhr
Freiburg
Thema: Fall Armani
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BZ: Trotzdem fragen sie weiter. Manche Anwohner wurden xmal verhört. Was versprechen Sie sich davon?
Schönefeld: Für uns relevante Zeugen vernehmen wir mehrmals. In der Hoffnung, dass eine Erinnerungslücke plötzlich geschlossen wird oder sie uns etwas vermeintlich Unwichtiges erzählen, was für uns aber wichtig sein könnte. Auch wir haben ja bei jeder Vernehmung einen anderen Wissensstand und bewerten Dinge anders.
BZ: Die Verhöre füllen Aktenberge. Was machen Sie damit?
Schönefeld: Wir haben 150 Aktenordner mit 14.000 Dokumenten – und die wachsen ständig. Neue Dinge müssen mit alten abgeglichen werden. Wenn in einer Vernehmung ein auf dem Spielplatz sitzender Jugendlicher geschildert wurde und in einer anderen Vernehmung der Jugendliche selbst befragt wurde, dann können wir das zusammenführen. Dann suchen wir nach keinem Phantom mehr, sondern wissen, wer das war und warum der dort war. Wir müssen die Puzzlestücke immer neu ordnen.
BZ: 3100 befragte Anwohner – und kein relevanter Hinweis. Hat sich der Aufwand gelohnt?
Schönefeld: Wir konnten Wissenslücken schließen, die uns zwar nicht näher an die Tat herangebracht haben, aber uns davor bewahrt haben, falschen Fährten nachzugehen. Der verdächtige Mann, den einige gesehen haben wollen, stellt sich als der Vater Soundso heraus, der sein Kind vom Spielplatz abholt. Das war natürlich nicht das Ziel der Befragung. So einen Aufwand betreibt man nicht nur, um Zeugen zu finden. Wir wollten Hinweise, die uns zum Täter führen. Aber allein für das Ausschlussprinzip hat sich der Aufwand trotzdem gelohnt.
BZ: Sie gehen davon aus, dass der Täter in Freiburg lebt?
Schönefeld: Wir gehen davon aus, dass es einen Ortsbezug zu Freiburg gibt – wie auch immer der geartet ist. In der Gegend um den Spielplatz kommt man als Fremder nicht einfach so vorbei. Dort fährt man bewusst hin. Das Gleiche gilt für den Fundort der Leiche.
BZ: Warum machen Sie dann keinen Massengentest?
Schönefeld: Weil uns momentan die rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Diese sind, dass man den betroffenen Personenkreis nach konkreten Merkmalen einschränken kann. Etwa Alter oder Geschlecht. Aber wir können nicht einmal ausschließen, dass es eine Täterin war.
BZ: Aber Sie haben doch Fremd-DNA gefunden?
Schönefeld: Wir haben Spurenmaterial am Opfer gefunden, das ist richtig, aber dessen Herkunft ist unklar. Es kann sich um Hautschuppen von uns nicht bekannten Spielkameraden handeln. Oder Haare von Verwandten. Sekretspuren wie Speichel oder Sperma wären beispielsweise ein eindeutiges einschränkendes Merkmal. Die gab es im Fall Armani aber nicht.
BZ: Ist mittlerweile alles eingesandte Material ausgewertet worden?
Schönefeld: Die Spuren, die man am Opfer selbst gefunden hat, sind natürlich schon ausgewertet. Es gibt aber noch ungefähr 1600 Spurenträger (Zigarettenstummel, Taschentücher, Getränkedosen), die das LKA noch nicht analysiert hat. Alles, was beim Spielplatz und am Leichenfundort in einem relativ großen Umkreis herumlag, haben wir eingesammelt. Die Untersuchung könnte Hinweise auf den Täter bringen – oder auch nicht. An beiden Orten radeln und laufen viele Menschen vorbei.
BZ: Fazit: Bisher hat die Analyse der DNA-Spuren nichts gebracht.
Schönefeld: Nun ja: Wir haben Fremd-DNA. Wenn wir irgendwann jemanden finden, den wir damit abgleichen können und der dann tatsächlich dazu passt, haben wir zumindest deutlich mehr als jetzt.
BZ: Die Belohnung wurde auf 20.000 Euro angehoben. Glauben Sie, gegen Geld taucht plötzlich der wichtige Hinweis auf?
Schönefeld: Die Erhöhung stammt von der Familie des Jungen, nicht von uns. Die Familie möchte jedes Mittel ausschöpfen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass jemand willentlich Informationen zurückhält und nur bereit ist, sie gegen Geld preiszugeben. Die Belohnung muss eher als ein Anreiz für das Erinnerungsvermögen gesehen werden.
BZ: Ihr Vorgänger Peter Grün hat immer gesagt: Wir kriegen den Täter. Was sagen Sie?
Schönefeld: Ich bin angetreten, um diesen Fall aufzuklären. Aber ich bin Realist genug mit meinen über dreißig Dienstjahren, um zu wissen, dass es auch ungeklärte Fälle gibt. Wir wollen nicht, dass dieser dazu gehört. Das würde jedem einzelnen von uns wehtun.
BZ: Seit einem Jahr beißen Sie sich an dem Fall die Zähne aus. Wie motivieren Sie sich?
Schönefeld: Der Fall an sich motiviert uns in der Ermittlungsgruppe. Ein achtjähriges Kind wurde getötet. Mehr Motivation brauchen wir nicht. Um so etwas aufzuklären, bin ich Polizist geworden.
BZ: Spekulationen und Gerüchte haben den Fall von Anfang an begleitet: Wie gehen Sie damit um?
Schönefeld: Zu Beginn war jeder Anruf ein wichtiger Hinweis für uns. Mittlerweile können wir Gerüchte von Hinweisen trennen. Wenn es an den Gerüchten überprüfbare Fakten gibt, gehen wir denen nach. Aber wir halten uns an Fakten.
BZ: Zweieinhalb Wochen nach Armanis Tod wurde der Fall in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" behandelt – ohne Ermittler aus Freiburg. Jetzt soll der Fall nochmal vorgestellt werden. Wieso?
Schönefeld: Wir sind an einem Punkt, da ergreifen wir jede Möglichkeit. Wir haben aktuelle Fragen. Nach dem hellen Kleinwagen mit fremdem Kennzeichen macht es durchaus Sinn bundesweit zu fahnden. 2014 war die Lage anders. Die Tat war frisch, wir steckten noch mitten in den ersten Ermittlungen. Damals hat uns die Sendung den Termin vorgegeben. Uns war das ermittlungstechnisch zu früh. Jetzt ist es andersherum: Wir würden den Fall gerne bald vorstellen, kriegen aber wahrscheinlich erst gen Ende des Jahres einen Termin.
BZ: Die Soko ist geschrumpft, dann wurde sie aufgelöst. Wann machen Sie Schluss?
Schönefeld: Es gibt noch viel Arbeit. Wir überlegen uns immer wieder, was wir noch tun können. Wir hören erst auf, wenn uns als Ermittlungsgruppe nichts mehr einfällt, um den Fall zu lösen. Und selbst dann bleibt er mir und dem Hauptsachbearbeiter bis zur Pensionierung erhalten. Die ungeklärten Fälle landen ja nicht im Keller. Manchmal kommen Jahre später erst wichtige Hinweise. Oder es passiert irgendwo eine ähnliche Tat, die man mit dem Fall verknüpfen kann.
Am Abend des 20. Juli melden seine Eltern den acht Jahre alten Armani im Stadtteil Brühl als vermisst; die Polizei leitet noch am gleichen Abend eine groß angelegte Suche ein – erfolglos. Am Montag, 21. Juli, findet ein Spaziergänger gegen 6.45 Uhr den leblosen Körper des Jungen im Mühlbach im Stadtteil Betzenhausen beim Kleingartengelände Vogelnest. Die Obduktion ergibt, dass er einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Konkrete Hinweise auf sexuellen Missbrauch gibt es nicht, definitiv ausschließen will die Polizei einen solchen aber nicht.
Die Kriminalpolizeidirektion Freiburg richtet die Sonderkommission Bach ein. Sie bearbeitet Hinweise aus der Bevölkerung, vernimmt Personen, verteilt Flyer und Plakate.
Zeugen hatten den Jungen am Sonntag mit seinem O2-Fußball auf einem Spielplatz bei der Kirche St. Konrad an der Ecke Eichstetter und Komturstraße zuletzt gegen 18.20 Uhr gesehen. Wie der Junge zum mehr als drei Kilometer entfernten Mühlbach in Betzenhausen gekommen war, ist unklar. Über Facebook und WhatsApp kursierten Falschmeldungen und Gerüchte.
Am Freitag, 25. Juli, wird Armani im Kreise von Angehörigen und Trauergästen auf dem Friedhof im Stadtteil Haslach beerdigt. An einem Trauermarsch im Seepark nehmen rund 2000 Freiburgerinnen und Freiburger Teil. Am 5. August wird der Fall in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY – ungelöst" behandelt. Ohne brauchbares Ergebnis.
Die Polizei hat folgende Fragen:
- Wer hat den Jungen am Sonntag (20. Juli) gesehen?
- Wer hat im Bereich des Bolzplatzes bei der Turnhalle der Anne-Frank-Schule oder dem Kleingartengelände beim Vogelnest Verdächtiges gesehen?
- Wer kann Hinweise darauf geben, wie der Junge in diesen Bereich gelangte?
- Wer kann Hinweise zu einem hellen Kleinwagen geben, der am 20. Juli 2014 zwischen 18 und 19 Uhr im Bereich der Eichstetterstraße gewendet haben soll? Das Nummernschild soll mit "M" beginnen. Der Zulassungsbezirk soll aus drei Buchstaben bestehen.
- Wer kennt einen Fahrer/Halter eines solchen Autos?
- Wer hat am 20. Juli 2014 zwischen 18 und 19 Uhr im Bereich des Stadtteils Beurbarung-Brühl im Zusammenhang mit solch einem Fahrzeug relevante Feststellungen/Beobachtungen getroffen?
- Wem ist an diesem Tag, davor oder danach ein solcher Wagen aufgefallen?
- Für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, ist mittlerweile eine Belohnung von 20.000 Euro ausgesetzt. Die Polizei nimmt Hinweise unter Tel. 0761/882-2480 entgegen.
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