Paris
Diese Erinnerungen verbinden BZ-Redakteure mit Notre-Dame
Wer die Pariser Kathedrale Notre-Dame einmal betreten hat, vergisst sie nie wieder. Unser langjähriger Frankreich-Korrespondent Axel Veiel und vier BZ-Redakteure haben ihre Erinnerungen aufgeschrieben.
Do, 18. Apr 2019, 9:31 Uhr
Panorama
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Es ist ein heißer Montag im Juli 2015 in Paris. Wir stehen am Haupteingang der Notre-Dame; ein Kameramann, ein Tontechniker, ein Journalist – und ich, die Praktikantin. Neben uns trotten die Touristen in die Kathedrale hinein. Uns aber wird ein Architekt einen Ort zeigen, den nur wenige Menschen kennen. Wir betreten die Kathedrale durch einen Seiteneingang, nehmen eine enge Holztür und besteigen mit Kamera und Mikrofon eine schmale Wendeltreppe. Wir erreichen den hölzernen Dachstuhl. Das Licht dringt nur durch die kleinen Fensterrosen hinein. Wir riechen den Staub mehrerer Jahrhunderte. Unser Ziel: Der Spitzturm, auch Dachreiter genannt. Der Turm, der am Montag beim Brand der Notre-Dame eingestürzt ist. Für die Öffentlichkeit ist er nicht zugänglich. Vom Dachstuhl quetschen wir uns über eine schmale Holztreppe hinauf. Dann stehen wir oben, sind vom Licht geblendet und von der Aussicht sprachlos. Das helle Dächermeer, die Seine, der Square Jean XXIII – der Blick von oben auf die verwinkelte Kathedrale. Wir sehen die grünen Kupferfiguren, die zwölf Apostel, von ganz nahe: Sie beschauen die Stadt, jeder mit seinem Erkennungszeichen. Nur einer schaut voller Leid zum Spitzturm. Diese Figuren wurden wenige Tage vor dem Brand im Zuge der Renovierung entfernt. Wenn sie wieder zurückgesetzt werden, wird vieles anders sein.
Der erste Besuch in Paris liegt exakt 50 Jahre zurück, der bislang letzte wenige Monate. Notre-Dame stand bei jeder Visite auf dem Programm. Und jedes Mal fiel das Augenmerk auf einen anderen Aspekt der vielschichtigen Geschichte dieses außergewöhnlichen Gotteshauses. Zuletzt hat mich eine Figur fasziniert, die neben dem linken Portal steht und die ich bis dahin aus unerfindlichen Gründen stets übersehen hatte. Dabei fällt sie in der Galerie allein dadurch auf, dass sie einen Kopf kleiner ist, um nicht zu sagen kürzer. Der Mann wird von zwei Engeln flankiert. Irritierend: Er trägt seinen eigenen Kopf in Händen. Der Legende nach war Dionysius, im 3. Jahrhundert der erste Bischof von Paris, am Montmartre enthauptet worden. Dionysius nahm den Kopf und ging los, sechs Kilometer, bis er im später nach ihm benannten Vorort St. Denis zusammenbrach. Dort wurde er begraben, wie später durch die Jahrhunderte die meisten französischen Könige. Die Darstellung an Notre-Dame ist eine der ältesten des Nationalheiligen der Franzosen. Und der steht irgendwie für diese Tage: Aufstehen, Kopf hoch, Frankreich.
Diese Kirche ist unvergleichlich. Zu ihr gibt es hierzulande keine Parallele. Selbst der Kölner Dom kommt da nicht mit. Notre-Dame: ein Raum mit Aura und viel Historie. Ein Wohlfühlort für Kulturmenschen.
Sogar einer Phase der abendländischen Musikgeschichte hat diese Kirche ihren Namen gegeben: der mittelalterlichen Notre-Dame-Epoche, die zwischen 1160/80 und 1230/50 zu datieren ist. Komponisten wie Leonin und Perotin an der Wiege unserer Mehrstimmigkeit. Ein Sprung ins 19./20. Jahrhundert: Neben der Pariser Kirche St. Sulpice, wo Charles-Marie Widor wirkte, ist Notre-Dame die zweite eigentliche Heimstatt der Orgelsinfonie, dieser von Widor kreierten spezifisch französischen Gattung. Die Voraussetzungen hatte der genialische Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll mit seinen grandiosen, orchestral klingenden Instrumenten geschaffen. Auch in Notre-Dame legte er Hand an. Hier war es dann der fast blinde Louis Vierne, der mit seinen sechs Orgelsinfonien die Gattung zum Gipfel führte. Musik für große Räume und große Instrumente. Weltliteratur für Orgel. Dass mit Notre-Dame von Pierre Cochereau bis Olivier Latry Weltklasse-Organisten verbunden sind, ist klar. Ein Glück, dass die Hauptorgel dem Brand standgehalten hat!
Vor einem Jahr wollte ich noch einmal von oben auf die Stadt schauen – zum Abschied von einem mehrjährigen Paris-Aufenthalt. Ich stieg auf den Südturm der Notre-Dame: Was für ein Ausblick in 69 Metern Höhe! Auf der Turmgalerie begrüßten mich die steinernen Fabelwesen, die Chimären aus dem 19. Jahrhundert. Manche streckten die Zunge heraus und guckten böse – der saure Regen spielt ihnen schon lange übel mit. Notre-Dame begleitete mich in meiner Pariser Zeit, schon deshalb, weil man die Türme beim Streifen durch die Stadt immer wieder sieht. Dann 2013: Notre-Dame feierte ihr 850-jähriges Bestehen und bekam als Präsent neun neue Glocken. Zunächst wurden sie im Innenraum zum Bewundern aufgestellt, dann geweiht und montiert – die Pariser waren bewegt. Schließlich das Gedenken an die Terroropfer: Schon immer war dieses Gotteshaus für die Pariser ein Anker in schweren Stunden. Auch weil Notre-Dame eben alles überdauert – das glaubte man bis Montag. Nie hätte ich gedacht, dass mein Abschiedsbesuch nicht nur der Stadt gelten würde, sondern auch der Kathedrale, wie sie einmal war.
Es war das allererste Mal. Die Warteschlange schob sich Notre-Dame entgegen. Das Hauptportal war erreicht. Gedankenverloren richtete ich den Blick nach oben. Und dort blieb er dann auch, konnte sich kaum lösen von den sich am Tympanon drängenden Teufelsmonstern. Mit Glubschaugen guckten sie herab. Aus Froschmäulern tropfte Geifer. Segelohren, Knollennase und flache Affenstirn schienen mir zu bedeuten: Der Verstand hat hier nichts zu melden, hier beginnt das Reich der Sinne. Versuch bloß nicht, zu verstehen, was du siehst. Ich hab’s dann tatsächlich nicht versucht. Auch drinnen nicht, im von Kronleuchtern und Kerzen nur schwach erleuchteten Kirchenschiff. Gewiss, da und dort erschlossen sich mir Bibelszenen, erkannte ich Herrscher oder Heilige. Auch glaubte ich im Turmgebälk Quasimodo auszumachen, den buckligen Glöckner. Aber nicht das Entschlüsselte, das Geheimnisvolle schlug mich in Bann – beim ersten Besuch wie auch bei den vielen, die noch folgen sollten.
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