"Die Männer wirken weicher"

JUZ-INTERVIEW mit der ukrainischen Studentin Miriam Martynyuk über ihre nachhaltigsten Eindrücke von Freiburg.  

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Auf Ukrainisch heißt Lemberg "Lviv" - von dort bis nach Freiburg dauert die Fahrt mit dem Zug 36 Stunden. Die 24-jährige Studentin Miriam Martynyuk hat im Sommer die lange Reise von ihrer Heimatstadt Lemberg hierher nach Freiburg gemacht. Es war ihre erste große Reise. Die hat sie angetreten, um hier einen Deutschkurs an der Universität zu absolvieren. Für die JuZ hat Eva Müller Miriam Martynyuk zu ihrem Aufenthalt in Deutschland und ihrem Leben in der Ukraine befragt.

JuZ: Was waren deine ersten Eindrücke in Deutschland?
Miriam Martynyuk: Die allerersten Eindrücke waren nette Leute und totale Ordnung. Ich bin 36 Stunden mit dem Zug gefahren - und war schon da ziemlich erstaunt über den Wohlstand. Als der Zug die Grenze zu Polen überquerte, konnte man schon erkennen, dass das Leben in Polen besser ist als bei uns in der Ukraine, aber Deutschland wirkt schon auf den ersten Blick noch viel reicher. Und noch etwas ist hier sehr eindrucksvoll - nämlich die Mülltrennung.

JuZ: Mit welchen Erwartungen warst du nach Deutschland gefahren?
Miriam: Ich dachte, die Deutschen seien zurückhaltend, also irgendwie höflich, aber nicht wirklich offen. Und ich habe geglaubt, alle Deutschen sind humorlos. Aber in Freiburg ist das gar nicht so. Zwar habe ich am Anfang nicht so viel verstanden, aber ich habe gefühlt, dass die Menschen Humor haben, dass sie sich viel Witziges erzählen. Und noch etwas hat mich überrascht. Ich hatte gedacht, Deutsche studieren nicht. Ich weiß eigentlich gar nicht warum, aber ich glaube, das ist ein Vorurteil, das sich hartnäckig bei uns in der Ukraine hält.

JuZ: Und haben sich irgendwelche der gängigen Vorurteile bestätigt?
Miriam: Nein, gar nicht. Ganz im Gegenteil. Zum Beispiel das mit der Bildung: Ich war total überrascht, wie viele Menschen hier lesen. Und zwar überall, in der Straßenbahn, im Zug - einfach überall. Bei uns ist das nicht so. Ich weiß nicht warum, vielleicht aus Pessimismus, weil viele wissen, dass sie nach dem Studium keine Arbeit finden.

JuZ: Wie finanzieren sich Studenten in der Ukraine das Studium?
Miriam: Ganz unterschiedlich. Ich, zum Beispiel, muss mir mein Studium selber finanzieren, da meine Mutter gestorben ist, als ich 19 Jahre alt war. Und mein Vater kann auch nicht für das Studium aufkommen. Ich gebe deshalb sehr vielen Schülern Nachhilfe.

JuZ: Wie viel Geld braucht man in der Ukraine zum Leben?
Miriam: Also ich muss meinen jüngeren Bruder auch mitfinanzieren - und wir brauchen zusammen ungefähr 150 Dollar im Monat. Das ist hier wenig, aber für uns beide ist es sehr viel Geld.

JuZ: Viele sagen, die Deutschen jammern zu viel - findest du das auch?
Miriam: Ich denke schon, dass es den Deutschen sehr gut geht. Aber das kann man auch nur sagen, wenn man - wie ich - einen Vergleich hat. Natürlich habe ich hier das Gefühl, alles sei beinahe ideal für die Bevölkerung geschaffen.

JuZ: Was unterscheidet das Leben junger Menschen in Deutschland von dem in der Ukraine?
Miriam: Junge Menschen sind hier freier, sie können fast alles tun was sie wollen. Zumindest sieht das für mich so aus. Hier kann man das Leben genießen, in der Ukraine haben die jungen Menschen viele Sorgen. Ob sie Arbeit finden, ob sie ausreichend Geld verdienen werden. Ich weiß, dass Arbeitslosigkeit auch in Deutschland ein Problem ist. Aber es ist anders, als in der Ukraine. Und im übrigen sind die ukrainischen Jugendlichen sehr westorientiert.


"Junge Frauen können mehr erreichen als Männer." Miriam Martynyuk, Studentin

JuZ: Haben junge Frauen in der Ukraine die gleichen Chancen wie ihre männliche Kollegen bezüglich Studium und Arbeit?
Miriam: Es gibt kaum Unterschiede. Ich denke sogar, dass junge Frauen mehr als die Männer erreichen können, nicht nur in der Ukraine, ich denke in der ganzen Welt, wirken die Männer irgendwie weicher. Jedenfalls kommt es mir so vor.

JuZ: Ist das russisch-ukrainische Verhältnis immer noch angespannt?
Miriam: Nein, das eigentlich nicht. Man merkt nur, dass der Osten eher sowjetisch orientiert ist und der Westen der Ukraine eher westorientiert. Zum Beispiel gab es ein sehr komisches Erlebnis in Kiew. Als ich mein Visum für Deutschland beantragen wollte, musste ich russisch sprechen, obwohl doch Ukrainisch unsere Landessprache ist.

JuZ: Was erhoffst du dir von der Zukunft?
Miriam: Ich möchte in der Ukraine leben und für mein Land arbeiten. Hier in Deutschland habe ich so viel gesehen - und natürlich hätte ich später gerne so einen Lebensstandard, wie es in Deutschland üblich ist (lacht). Ich möchte Karriere machen, aber auch eine Familie gründen. Aber als erstes müsste ich mal eine Wohnung haben. Momentan nämlich muss ich alle vier oder sechs Monate umziehen, denn bei uns ist es üblich, dass es nur ganz kurze Zeitmietverträge gibt.

JuZ: Was nimmst du von deiner Zeit in Deutschland mit in die Ukraine?
Miriam: Vielleicht an erster Stelle das Umweltbewusstsein. Für mich war das sehr überraschend, so was habe ich zuvor noch nie erlebt. Und ich werde sehr große Sehnsucht nach meiner Gastfamilie haben und nach meinen neuen Freunden und nach Freiburg. Für mich ist Freiburg eine Stadt der freien Leute. Frei-Burg eben.

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