Die alten Klischees bringen nichts

Vorurteile gegenüber Polen halten sich hartnäckig, dabei ist das größte der neuen EU-Beitrittsländer höchst modern und lebendig.  

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Alle Polen sind Autodiebe, Trinker, Chaoten und faul obendrein. Vorurteile gegenüber unserem östlichen Nachbar halten sich hartnäckig. Aber umgekehrt sind für viele Polen die Deutschen humorlose Ordnungsfanatiker. Dabei ist die deutsch-polnische Geschichte seit Jahrhunderten nahezu unentwirrbar verwoben und die gemeinsame Gegenwart hat schon lange vor dem EU-Beitritt Polens am 1. Mai begonnen. Höchste Zeit also, mit alten Klischees aufzuräumen. JuZ-Autorin Eva Müller ist in die Universitätsstadt Breslau/Wroclaw gefahren, um einzutauchen in die polnische Jugendkultur.

Es regnet in Breslau/Wroclaw. Ein fieser dichter Regen, der den Boden aufweicht und in einen knöchelhohen Sumpf verwandelt. Einige Studenten flüchten in die zahlreichen Kneipen, andere flanieren mit Regenschirm durch die Innenstadt. Die Stadt wirkt lebendig und frisch - auch an einem Regentag. 200 000 Studenten, die an den zahlreichen Hochschulen und Fachhochschulen eingeschrieben sind prägen das Stadtbild. Breslau/Wroclaw steht für Modernität, Jugend und ein Ziel: "Europa".

Während sich auf dem Land die Armut im Dorfbild widerspiegelt, entstehen in Breslau/Wroclaw moderne Einkaufszentren und aus ehemaligen Werftgebäuden werden hochmoderne Bürokomplexe. In Polen boomt die New Economy geradezu, allein 7000 deutsche Unternehmen sind in Polen aktiv. Und insbesondere die "Generation @" ist westorientiert, junge Studenten wissen viel über Deutschland und fast jeder kann Deutsch.

Dennoch ist im größten der neu beigetretenen Länder nur jeder fünfte am 13. Juni zur Wahlurne gegangen - die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte Polens. Fast 80 Prozent haben Europa die kalte Schulter gezeigt. Dabei war noch vor ein paar Jahren für circa 80 Prozent der Polen klar: Wir müssen in die EU. Offenbar hat diese Begeisterung inzwischen stark nachgelassen, fast 30 Prozent der Polen - meist ältere Menschen - sind sogar strikte EU-Gegner. Die Gründe sind verschieden. Angst spielt aber fast immer eine Rolle.

Die Großmutter der 20-jährigen Aleksandra Mackiewicz gehört jedoch zu dem kläglichen Fünftel, das für Europa stimmte. "Mir bringt es nichts, aber ich tue es für dich", sagt sie zu Enkelin Aleksandra. Und für Aleksandra und ihre Freundinnen Joanne Oraczewska und Joanne Izydorczyk war es sowieso selbstverständlich zur Europawahl zu gehen. Denn für sie ist Europa die große Hoffnung. Joanne und ihre gleichnamige Freundin studieren Tourismus in Warschau. "Ich will den Leuten Polens Kultur, Geschichte und Tradition näher bringen", erzählt sie. Zum Beispiel das historische Krakau oder eben die lebendige Stadt Breslau/Wroclaw mit deutsch-polnischer Geschichte und dem stillgelegten Breslauer Bahnhof namens "Freiburger Bahnhof". In Freiburg studiert Aleksandra momentan Deutsch, Englisch und Spanisch und nutzt damit die Chance, die ihr die EU bietet. Nächstes Jahr will sie in Barcelona studieren. Und dann? "Mal schauen. Der Markt der Möglichkeiten ist unendlich groß", meint sie und lächelt.

Viele Jugendlichen in Polen sind sehr optimistisch, was angesichts der prekären Arbeitsmarktsituation erstaunt. Gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Mit einem Doppelstudium und dem Erwerb mehrerer Sprachen versuchen die Jugendlichen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, erzählt Joanne. Aber die Konkurrenz ist groß: die Polen sind ein sehr junges Volk. Von den 39 Millionen Einwohnern Polens sind 25 Prozent zwischen 15 und 29 Jahren alt. Viele wollen studieren. Aber in nahezu jedem Fach gibt es Zulassungsbeschränkungen und Aufnahmeprüfungen. Nur die Besten haben eine Chance auf ihren Traumstudienplatz, der Rest nimmt, was übrig bleibt.

Dieses Jahr war Spanisch der Renner, berichtet Aleksandra. Aber selbst Fremdsprachenkenntnisse und ein guter Abschluss sind keine Garantie mehr für einen Arbeitsplatz. Jedem 20. Hochschulabsolventen wird Arbeitslosigkeit prognostiziert. Die 21-jährige Joanne wohnt mit ihren Eltern in Warschau - wegen der großen Wohnungsnot und aus finanziellen Gründen. Nicht alle polnischen Jugendlichen erhalten eigenes Geld von den Eltern. Zwischen 20 und 400 Zloty - das entspricht 5 bis 100 Euro - haben Jugendliche im Durchschnitt zur Verfügung. Das meiste davon geben sie für Kleidung und Süßigkeiten aus.

"Ich will den Leuten Polens Kultur und Geschichte näher bringen." Joanne Izydorczyk, 20 Jahre

Gejobbt wird soweit es die Uni erlaubt. Oft in den Semesterferien - und häufig in Deutschland. Eine sehr große Frustrationswelle in den kommenden Jahren ist absehbar, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht verbessert. Aber abends in Breslau/Wroclaw auf dem Marktplatz im Windschatten des verzierten, spätgotischen Rathausturms sind die Alltagsorgen vergessen. Verschnörkelte Bürgerhäuser spiegeln sich in kleinen Pfützen, Sambasound beschallt den Platz und lässt eintauchen in ein fideles Nachtleben.

Was sich Jugendliche für die Zukunft wünschen? Eine Verbesserung der ökonomischen Lage und mehr internationales Interesse. Denn die Tatsache, dass der deutsche Kanzler Schröder in Warschau war und der polnische Skispringer Adam Malysz in Hinterzarten weilt, dürfte zu wenig sein, um von einem Austausch der Kulturen und einem Abbau von stereotypen Vorurteile zu sprechen. Ganz im Sinne unserer Erfahrung sollte es also heißen: "Pozwólcie zaprosic si? Naw? Drówk? Przez ten fascynuj? Cy kraj, jakim jest Polska." Auf geht's: eingetaucht in die Entdeckung des faszinierenden Landes Polen.

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