Der ungeheure Reiz des Fremdgehens
Was spricht eigentlich dafür, mit beiden Füßen auf einem Brett den Berg runterzukugeln? Ein mutiger Selbstversuch.
JuZ-Mitarbeiter Carl-Leo von Hohenthal
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Bisher waren es zwei Bretter, die im Winter für mich die Welt bedeuteten. Liegt ja auch irgendwie nahe, dass man sich unter jeden Fuß ein eigenes Brett schnallt, wenn man sich auf Schnee und Eis die Hänge hinunterstürzt. Vielleicht war es der ungeheure Reiz des Fremdgehens, der mich auf das bislang nur naserümpfend betrachtete Snowboard lockte . . .
Und endlich ist Wochenende! Am Samstagmorgen war der Freitagabend immer "zu lang". Besonders für den Freund, der mir das Snowboarden beibringen wollte und von dem ich im Zug die nette E-Mail bekomme, dass er leiderleider zu viel gefeiert, verpennt und daher sowie keinen Bock hat – und es doch dann eh zu spät wird. Dabei soll Bergluft ja so gesund sein, und einige Mitfahrer im Zug sehen doch auch so aus, als ob sie Snowboarden als Fortsetzung des Feierns mit anderen Mitteln betrachten. Manche haben dabei auch anscheinend nicht mal den Umweg über das Bett gemacht.
Und endlich ist da der Schnee! Nach der Busfahrt durch nichtendenwollende Reihen von parkenden Autos taucht am Rande eines riesigen Parkplatzes ein kleiner Skilift auf. Diese gigantische Parkplatzlandschaft mit angegliederter Wintersportmöglichkeit nennt sich Feldberg – "das höchste im Schwarzwald" – zumindest nach subjektiver Einschätzung gilt das auch für die Liftpreise. Einige Busmitfahrer scheinen schon jetzt zu kapitulieren und bevorzugen, das Geld für die Liftkarte gleich in dem sicher nicht zufällig sehr großzügig dimensionierten Après-Ski-Lokal zu investieren. Doch ich, als Skifahrer mit über 10 Jahren Hochalpenerfahrung, will in einem Anflug von Hochgebirgshybris gleich den Idiotenhügel überspringen und mit dem Sessellift nach oben. Dort angekommen dauert es schlappe 15 Minuten, bis die Schuhe in der Bindung verankert sind, und nur fünf Minuten, bis ich dann zu ersten Mal aufgestanden – und eine Sekunde später hingefallen bin. Wahrlich nicht zum letzten Mal. Irgendwie sah der Hang einst auf Skiern doch bedeutend einfacher aus, und mit jedem Sturz stellt sich lauter die Frage, ob ein Brett, auf das man beide Füße schnallt und dann einen Berghang runterrollt, nicht besser im Museum an der Südseite des Münsterplatzes aufgehoben wäre. Doch frei nach dem Piloten-Motto "Runter kommen sie immer" geht auch die längste Leidenstour, sprich: Piste, zu Ende – Rückenschmerz, lass nach! Die Blicke der Snowboardfahrer im Lift sind teilweise genauso mitleidig wie die meiner Freunde in der Woche vorher. Bei vielen scheinen meine Fahrversuche allerdings die Heiterkeit enorm zu steigern, was mich wiederum nur bedingt freut.
Doch nach gefühlten 101 Stürzen und dem rücksichts-, weil steuerungslosen Runterrutschen auf der Ideallinie kommt Hilfe ins Spiel. Ein offenbar sehr erfahrener Snowboarder taucht völlig unvermittelt auf, zieht mich hoch und will mir helfen: "Komm’, ich zeig’ dir mal, wie das geht!" Und mit seinen Insidertipps kommen endlich die Erfolgserlebnisse und die Endorphine triumphieren über die blauen Flecken. Schon bald klappt es zumindest mit den Linkskurven, – wohlgemerkt eben nur mit den Linkskurven, was ein Kreiseln ins Tal zur Folge hat, das haargenau so bescheuert aussieht, wie man es sich vorstellt.
Auch der Übermut kehrt zurück, was eine kühne Fahrt durch den Schanzenpark zur Folge hat, naja, eine Fahrt um die Schanzen herum – und der Begriff Schanzenpark ist wahrscheinlich völlig falsch, aber als Kenner der Szene gehe ich ja eh nicht durch. Irgendwann hat auch dieser Spaß ein Ende und ich sitze mit dem rettenden Snowboarder und seiner Clique an der Bar, allesamt Könner – und keiner sagt irgendetwas Abfälliges über meine Rutschversuche. Endlich mit dabei! Und falls der Schnee noch liegt, wenn die blauen Flecken verblasst sind, werde ich meine Skier zusammenleimen, die Bindung drehen und den Ritt auf einem einzigen Brett wohl wieder wagen.
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