Mittagspause
Der Siesta soll’s in Spanien an den Kragen gehen
Schluss mit Siesta! Spanien will die lange Mittagspause abschaffen. Sie soll nicht nur schlecht für die Gesundheit der Menschen sein, sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
dpa
Di, 21. Jun 2016, 0:01 Uhr
Panorama
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Als Angestellte eines Küchenstudios wird die 35-Jährige um 14 Uhr – wie sie sagt – "immer in die verdammte Zwangspause entlassen". Und zwar bis 17 Uhr. In der Nähe ihres Ladens im zentralen Viertel Chamberí werden zur selben Zeit viele Rollläden mit Getöse heruntergelassen, unzählige "Geschlossen"-Schilder nach draußen gehängt. Nur die wenigsten Arbeiter und Angestellten können hier aber zum Mittagessen schnell nach Hause fahren, denn die meisten wohnen in den Vororten. Bei ihren Lieben ist Puri abends erst gegen 21.30 Uhr. "Meine jüngste Tochter wurde von der Oma dann schon ins Bett gebracht."
Wie Puri erheben aber immer mehr Spanier ihre Stimme zum Protest. Vor zehn Jahren wurde die "Vereinigung zur Rationalisierung der Zeiten" (ARHOE) ins Leben gerufen, die eine zeitliche Anpassung des Tagesablaufs an die Gewohnheiten in anderen Ländern Westeuropas fordert. "Was in Spanien passiert, ist nicht normal. Wir haben ein Anrecht darauf, unser Privatleben zu genießen", meint der 49-jährige Jurist und ARHOE-Präsident José Luis Casero.
Casero und Puri stehen mit ihren Forderungen nicht alleine da. Der Rundfunksender Cadena Ser etwa bezeichnete den spanischen Tagesablauf als "kafkaesk". In der Tat: Weil die meisten Menschen spät nach Hause kommen, wird oft nicht vor 21 Uhr zu Abend gegessen. Die Hauptsendezeit beginnt im Fernsehen erst um 22 oder 22.30 Uhr.
"Man muss nach dem Abendessen aufräumen, man will sich mit Ehemann und Kindern unterhalten, ein bisschen Fernsehen gucken. Im Bett bin ich nicht vor ein Uhr morgens", klagt Puri mit müdem Blick.
Die meisten Wissenschaftler geben den vielen Unzufriedenen, die immer mehr werden, Recht. "Wir sind weltweit ein Sonderfall", sagt zum Beispiel Nuria Chinchilla. Nach Angaben der Professorin an der angesehenen Business-School Iese in Madrid schlafen die Spanier deutlich weniger als andere Europäer, was sich negativ auf die Gesundheit der Menschen, aber auch auf die Produktivität der Arbeitnehmer und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft des Landes auswirke.
Die Tradition der langen Siesta hat mit der brütenden Hitze zu tun, die sich mittags vielerorts in Spanien übers Land legt. Im Sommer sind dann Temperaturen von über 35 Grad nahezu normal. Als es kaum Klimaanlagen gab, wurde dann gegessen und im abgedunkelten Zimmer ein langes Nickerchen gemacht. Laut Studien halten aber inzwischen knapp 60 Prozent der Spanier nie einen Mittagsschlaf.
Aber nicht nur die Hitze, auch der schon vor Jahrzehnten gestorbene Diktator Francisco Franco trägt Schuld an der aktuellen Malaise. Bis 1942 war Spanien nämlich noch in der Westeuropäischen Zeitzone, der unter anderem Portugal und Großbritannien angehören. Um sich dem befreundeten Nazi-Deutschland anzupassen, ließ der "Generalísimo" damals die Uhren um eine Stunde vordrehen. Weil der Biorhythmus sich auch nach der Sonne richtet, machen die Spanier daher seitdem alles eine Stunde später als normal, erklären Wissenschaftler wie Chinchilla.
Der geschäftsführende Ministerpräsident Mariano Rajoy hat den Unmut vernommen. Mit Blick auf die Parlamentsneuwahl am 26. Juni stellte er ein allgemeines Ende des Arbeitstages schon um 18 Uhr in Aussicht. Auch für eine Rückkehr von der Mitteleuropäischen in die Westeuropäische Zeitzone will der 61-Jährige sich im Fall eines Sieges einsetzen. Einige befürchten derweil, dass es nicht einfach sein wird, alte Gewohnheiten zu ändern. Das nächtliche Leben – so wie es ist – gehört für viele Menschen schlicht zu Spanien dazu. "Es geht ganz einfach darum, unser Wesen zu verändern. Auch wenn das vielleicht schlecht ist: Ohne die Nacht ist Spanien heutzutage nicht zu verstehen", schrieb Kolumnist Vicente Lozano in El Mundo.
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