Zischup-Interview
"Der Mauerfall – ein Gefühl, das man nicht in Worte fassen kann"
Nele Mierzwa wollte mehr über das Leben in der DDR wissen. Daher hat sie ihren Papa Gunnar Mierzwa interviewt, der dort aufgewachsen ist. .
Nele Mierzwa, Klasse 8a, Staudinger-Gesamtschule (Freiburg)
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Mierzwa: Ich kannte es nie anders und aufgrund dessen war es mehr oder weniger ein normaler Umstand. Dennoch war es seltsam, immer nur in Richtung Osten mit dem Zug oder Auto fahren zu können. Im Allgemeinen jedoch hatte ich eine erfüllte, aufregende und schöne Kindheit.
Zischup: Wie war die Schule damals?
Mierzwa: Die Schule war eine tolle Zeit für mich. Ich mochte es, mit meinen Freunden zusammen in verschiedene AGs oder im Hort Zeit zu verbringen, da wir dort des öfteren spaßige Spiele gespielt haben, wir sehr viele Ausflüge gemacht haben und Sport getrieben haben.
Zischup: War das Essen früher anders?
Mierzwa: Ja, tatsächlich. Meine Eltern haben damals 2,55 Mark pro Woche an die Essensküche gezahlt und dort gab es dann Gerichte, wie zum Beispiel Pfannkuchen, Kartoffelbrei, Schnitzel oder Senfeier, die mir immer gut geschmeckt haben. Ein Essen hat 51 Pfennig gekostet und wurde frisch in der Schule zubereitet. Wir wurden sehr gut verpflegt.
Zischup: Wie war der Gedanke, dass man nicht frei reisen konnte?
Mierzwa: Als Kind hat man sich noch nicht so große Gedanken darüber gemacht, doch je älter man wurde, desto mehr hat einen das beschäftigt und die Sehnsucht auszubrechen wurde größer. Ich kann mich erinnern, dass man von unserem Kirchturm aus die bekannten Schornsteine des WV-Werks in Wolfsburg sehen konnte. Irgendwann wurde man auch richtig wütend, da man die Orte einfach auch besuchen wollte.
Zischup: Hattest du je Fluchtgedanken?
Mierzwa: Ich hatte mir vorgenommen, dass ich mit 18 Jahren auswandern wollte. Doch ich hatte nie wirklich einen Plan. Ich wollte einfach weg. Irland war in meinen Gedanken stets dabei.
Zischup: Hast du Bekannte aufgrund von Fluchtversuchen verloren?
Mierzwa: Nein, dennoch habe ich miterlebt, wie Leute aufgrund von Fluchtversuchen ins Gefängnis kamen. Ein Freund unternahm einen Fluchtversuch, wurde aufgegriffen, kam ins Gefängnis und hatte großes Glück: Da dies in der Wendezeit geschah, kam er schnell wieder frei.
Zischup: Hast du noch Freunde von damals?
Mierzwa: Ganz viele, zum Glück. Viele von ihnen treffe ich regelmäßig auf Klassentreffen oder bei Besuchen in meiner alten Heimat. Man ist miteinander unfassbar eng verbunden.
Zischup: Was hast du gefühlt, als die Mauer damals plötzlich gefallen ist?
Mierzwa: Es war ein Gefühl, das man fast nicht in Worte fassen kann. Ich bin mir sicher, dieses Gefühl werde ich nie wieder so fühlen und erleben. Es war die unglaublich hoffnungsvollste, spannendste, aufregendste Erfahrung meines Lebens, geprägt von Erleichterung, Tatendrang und Zuversicht. Ein Glücksgefühl auf besondere Art und Weise.
Zischup: Wie alt warst du, als die Mauer 1989 fiel?
Mierzwa: Ich war 16 Jahre alt.
Zischup: Vermisst du manche Dinge aus der DDR?
Mierzwa: Auf jeden Fall. Die Kindheit prägt einen sehr. Ich vermisse schöne kleine Dinge im Alltag, den familiären Zusammenhalt, einander zu helfen ohne Hintergedanken, den einfach geregelten Alltag, zum Beispiel die günstigen Lebensmittelpreise, die kostenfreie medizinische Versorgung, die kostenfreie Betreuung in Schule und Kindergarten. Ich vermisse auch, dass man auch ohne viel Geld vieles erreichen konnte – und den Zusammenhalt der Menschen.
Zischup: Hast du manche Erfahrungen ins weitere Leben mitgenommen?
Mierzwa: Ja, dass man sehr kritisch sein muss, was die Regierung versucht zu vermitteln, und dass Taten mehr sprechen als Worte. Dass eine Gemeinschaft sehr stark und wichtig sein kann und dass sie, wenn sie funktioniert, Berge versetzen kann. Und dass der Zusammenhalt unter Familie und Freunden sehr wichtig ist.
Zischup: Du arbeitest im Reisebüro. Ist die DDR ein Grund dafür?
Mierzwa: Ich bin mir sicher, dass mein Leben in der DDR die Sehnsucht gefördert hat, die Welt zu bereisen, und es daher ein wichtiger Grund ist, dass ich später diesen Beruf gewählt habe.
Zischup: Hattest du ein Traumreiseziel? Wenn ja, hast du es erreicht?
Mierzwa: Ja, ich wollte immer nach Irland. Ich interessierte mich sehr dafür und konnte es nicht abwarten, dort mal hinzureisen. Ironischerweise war ich dennoch bis heute nicht dort. Ein Traum, den ich mir aber erfüllen konnte, waren Reisen in die Karibik und nach Afrika.
Zischup: War der Übergang in die "Neue Welt" schwer für dich?
Mierzwa: Auf jeden Fall war es eine riesige Herausforderung, die manche Leute leider nicht gemeistert haben. Sie sind regelrecht daran zerbrochen. Das zu erleben, hat mich sehr mitgenommen. Vom einen auf den anderen Tag hat sich alles komplett verändert. Menschen haben ihren Job verloren, da es viele Betriebe plötzlich nicht mehr gab. Eine große Welle von Unsicherheit und Problemen hat die Menschen getroffen. Ähnlich wie wir es auch aus der Coronazeit kennen, nur noch viel schlimmer.
Zischup: Willst du uns noch über etwas in Kenntnis setzen?
Mierzwa: Die DDR war eine bereichernde Erfahrung und ich bin dankbar dafür. Natürlich habe ich nicht nur gute Erinnerungen, da wären die Spitzeleien und die Unterdrückung, aber ich sehe nicht alles schwarz oder weiß, ich sehe das große Ganze, meine tolle Kindheit, den Zusammenhalt, die wundervollen Menschen um mich herum und vieles mehr. Ich bin stolz und fasziniert, dass ich das alles erleben durfte.
Kommentare
Kommentarbereich ist geschlossen.