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Der Charme der neuen Monster

Die Vitra Design Museum Gallery in Weil am Rhein widmet sich der brutalistischen Architektur und ihren Spielplätzen.  

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Auf den ersten Blick wirkt der Raum der Weiler Vitra Design Museum Gallery wie ein Testlabor für Småland – die Kinderwelten, mit denen Ikea-Möbelhäuser Mutter, Vater, Kind unbeschwertes Einkaufen ermöglichen wollen. Da steht gleich im Eingangsbereich eine schräg in den Raum ragende Ebene, eine gekippte Bühne mit Geländer; dahinter finden sich ein Turm mit Minirutschbahn, ein Kriechtunnel und ein Kletterpodest. "The Brutalist Playground" nennt sich der artifizielle Indoorspielplatz aus weichem, buntem Schaumstoff. Er ist Installation und begehbare Skulptur zugleich. Vor allem aber lenkt er den Blick auf ein Kapitel der Architekturgeschichte nach 1945, das als Brutalismus eher verpönt ist.

Der von 1953 an in englischen Architekturzeitschriften etablierte Begriff leitet sich ab vom französischen Terminus für Sichtbeton, "Béton brut"; wörtlich übersetzt heißt das schlicht "roher Beton". Ein Pionier dieses Stils war der Schweizer Le Corbusier. Bekannte brutalistische Architektur hierzulande sind unter anderem das Geomatikum der Uni Hamburg, die tschechische Botschaft oder das Märkische Viertel in Berlin. Aber auch in Casablanca finden sich Wohnhäuser in dieser Betonarchitektur, wie eine Kontext schaffende Schautafel verdeutlicht. Brutalismus war also immer eine heterogene Strömung.

Eine große Rolle spielte sie in den 50er und 60er Jahren in Großbritannien, wo die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs auch als Chance für einen flächensparenden sozialen Wohnungsbau begriffen wurden. In stark zerstörten Städten wie London oder Sheffield entstanden ganze Siedlungen in brutalistischer Bauweise. Dabei aber ging es nie nur um billigen Wohnraum für schon damals mit Bevölkerungswachstum konfrontierte Zentren, sondern auch um gesellschaftspolitische Ideale, um Freiräume zur Bewegung, Grünflächen, Spielplätze und auch um selbstbestimmte, von solidarischem Nachbarschaftsdenken inspirierte Wohnformen mit sozialer Infrastruktur wie Schulen, Kneipen und Geschäften. Hier knüpft die von dem englischen Kollektiv Assemble und dem in London lebenden australischen Künstler Simon Terrill für das Royal British Institut of British Architects (Riba) entwickelte Wanderausstellung an, die Vitra erstmals nach Deutschland bringt.

Terrill rekonstruiert maßstabsgetreu einzelne Spielplatzelemente brutalistischer Projekte wie der Churchill Gardens Estate in London oder der Park Hill Estate in Sheffield und ergänzt die mit Projektionen historischer Aufnahmen aus den Quartieren, die eine spektakuläre Architektur zeigen. Das relativiert nicht zuletzt gängige Bewertung des Brutalismus. Terrill, der jahrelang in einer solchen Siedlung in London lebte, jedenfalls hat dort Erfahrungen gemacht, die der stereotypen Wahrnehmung als verwahrloste Orte und soziale Brennpunkte widersprechen, schildert er. Tatsächlich seien viele Bewohner mit dem Milieu und den Grundrissen der Wohnungen zufrieden. Nicht zuletzt die Spielplätze boten Kindern Gelegenheiten, frei zu entscheiden, wie sie ihr Spiel gestalten – eine Kompetenz, die in einer Gesellschaft, in der Individuen zunehmend selbst Verantwortung für ein gelingendes Leben übernehmen müssen, nicht zu unterschätzen ist.

Gleichwohl steht brutalistische Architektur heute vielerorts auf dem Index als Sinnbild einer misslingenden Moderne und wird abgerissen. Allein schon die notorische Wohnungs- und Flächenknappheit in urbanen Zentren aber könnte ein Grund sein, diese Ansätze neu zu bewerten, findet Vitra-Kuratorin Jana Lipsky. "The Brutalist Playground" bieten da erste spielerische Ansätze; einen anderen verfolgt derzeit übrigens das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt: Dort läuft die Kampagne "SOS Brutalism. Rettet die Betonmoster", die im Oktober in eine Ausstellung münden soll.

"The Brutalist Playground". Bis 16. April, täglich 10–18 Uhr, Vitra Design Museum Gallery, Weil am Rhein.

Ressort: Kunst

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