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Deutsches Kulturgut

Das Phänomen Gartenzwerg: Kitsch oder Kult?

  • Sebastian Fischer (dpa)

  • Fr, 08. Juli 2022, 20:30 Uhr
    Panorama

     

Früher Ausdruck von Reichtum, heute vielen ein Inbegriff von Geschmacklosigkeit: Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister. Dabei stehen sie schon seit Jahrhunderten in deutschen Gärten.

Bereits Goethe schrieb von einen Garten voller „farbiger Zwerge“. Foto: Martin Schutt (dpa)
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Noch vor Kartoffeln, Autobahnraserei und Socken in Sandalen sind sie vielleicht das größte Klischee, das mit den Deutschen in Verbindung gebracht wird: Gartenzwerge. Sie tummeln sich zwischen Blumenrabatten in Vorgärten oder neben dem Kohlrabibeet. Sie stehen bei Wind und Wetter ihren Zipfelmann – und das schon länger, als man vielleicht denkt.

Die kleinen Männer (und seltener auch Frauen) aus Gips, Ton, Keramik oder schnödem Plastik genießen bei den einen Kultcharakter. Für andere sind die Zwerge der Inbegriff von Spießbürgertum. Man belächelt und verspottet sie – und damit auch ihre Besitzer. Dabei reicht ihre Tradition weit zurück. Schon ewig begleiten Gnome als eifrige Helfer mit Zugang zu reichen Schätzen und magischen Kräften den Menschen in Sagen, Märchen und Mythen. Bereits in der griechischen Antike berichten etwa Homer oder Hesiod über das Ackerbau treibende Volk der Pygmäen.

In Salzburg stehen 320 Jahre alte Zwerge

In fürstlichen Gärten aufgestellte Gestalten gibt es seit dem Barock. Im Salzburger Zwergelgarten zum Beispiel sind die Figuren aus weißem Marmor mehr als 320 Jahre alt. Sie gehen auf Kupferstich-Karikaturen des französischen Grafikers und Florenzer Hofmalers Jacques Callot vom Anfang des 17. Jahrhunderts zurück.

Ende des 18. Jahrhunderts sind die Gnome weit verbreitet, der Weimarer Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe schreibt im bürgerlichen Epos "Hermann und Dorothea" über einen "in der ganzen Gegend" berühmten Garten mit seinen "farbigen Zwergen". Spätestens mit den Brüdern Grimm und ihren Märchen (1812) etwa von "Schneewittchen" oder "Rumpelstilzchen" setzten die Knirpse zum Siegeszug an.

Im späten 19. Jahrhundert begann die Blütezeit der Zwerge

"In der Zeit von 1870 bis 1920 hatten die Zwerge ihre größte Blütezeit", schreibt die Regensburger Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek einmal in einem Aufsatz. Ausgelöst worden sei die Manie von der Märchenwelle der Neuromantik. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden in und um Gräfenroda in Thüringen dann die ersten Zwerge für den Garten in Serie hergestellt – und bis nach Großbritannien angeboten.

Lange gelten Gartenzwerge als Accessoires gehobener Gesellschaftsschichten. Literaturpreisträger Thomas Mann lässt zum Beispiel seinen Roman-Protagonisten Felix Krull über den "anmutigen Herrensitz" seiner Familie berichten: "Der abfallende Garten war freigebig mit Zwergen, Pilzen und allerlei täuschend nachgeahmtem Getier aus Steingut geschmückt."

Gartenzwerg-Schützer verschmähen Plastikzwerge

Heute prägen besonders Kunststoffwichtel das verkitschte Bild. Typen und Gesten sind mannigfaltig. Gartenzwerge mit Dolch im Körper oder mit Stinkefinger sind immer wieder mal Zankapfel zwischen Nachbarn.

Der Internationalen Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge in Basel zufolge tragen echte Gartenzwerge – ob mit männlichen oder (mittlerweile auch) weiblichen Zügen – eine Zipfelmütze und gehen "einer naturnützigen oder freundlichen Tätigkeit" nach. Und sie sind aus natürlichen Materialien wie Lehm, Ton oder Holz. Gefährten aus Plastik lassen die Basler Kulturhüter nicht als echt durchgehen.

Auch jenseits deutschsprachiger Gegenden sind die kleinen Herren begehrt: Im Frühjahr 2021 gab es in Großbritannien sogar nicht mehr genug Nachschub. Während des Corona-Lockdows wurde das Gärtnern dort so populär, dass unter anderem auch die Zwerge Mangelware wurden.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 09. Juli 2022: PDF-Version herunterladen

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