Zisch-Schreibwettbewerb Herbst 2023
Das Einhorn in Tokio
Von Lionel Miess, Klasse 4c, Weiherhof-Grundschule (Freiburg)
bzt
Mi, 22. Nov 2023, 11:57 Uhr
Schreibwettbewerb
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Der Zwölfjährige, der erst vor eineinhalb Jahren an den Rand von Tokio gezogen war, lebte mit seiner Familie in einem kleinen, gelben Haus mit rotem Dach und einem großen Garten. Auf seinem Weg, der ihn durch die beinahe undurchdringliche Millionenstadt führte, kam er endlich an seinem Ziel an – dem wohl ungewöhnlichsten Fernsehturm der Welt, den viele den rot-weißen Eiffelturm nannten. Dort warteten auch schon seine beiden Freunde, der dreizehnjährige Paul und die elfjährige Jana, die Jüngste, aber vermutlich die Schlauste der drei guten Freunde. Wie immer hatte Jana ihren bunten und folgsamen Papagei, Joni, mit dabei.
Nachdem sich alle begrüßt hatten, radelten sie zu einem nahegelegenen Eiscafé. Eigentlich bestellte jeder zweite Kunde dort das Eis "Tokiolitto" und auch unsere drei Detektive nahmen die begehrte Sorte.
Als alle Mitglieder von "Tokio-Verbrecherfrei", so nannten sich die drei Detektivfreunde, ihr Eis vertilgt hatten, liefen sie zu ihren Fahrrädern und fuhren davon. Gerade noch rechtzeitig, denn da nahten auch schon ihre Erzfeinde: Eine Fünfer-Gruppe bestehend aus zwei Jungs, 16 und 13 Jahre, zwei Mädchen, 15 und 12 Jahre alt, und außerdem schleppten sie immer noch ein ungefähr zehnjähriges Mädchen hinter sich her. "Tokio-Verbrecherfrei" machte sich auf den Weg in den heruntergekommensten Teil der Metropole. Nach dem letzten Erdbeben wurde er zu 65 Prozent nicht wieder aufgebaut und war voller alter, kaputter Kraftwerke. Vor einer der Fabriken hielten die drei Detektive an. Sie liefen durch das große Gebäude, an riesigen Öfen, Computern und alter Ware vorbei, bis zu einer kleinen Tür, die in den fünf Quadratmeter großen Hinterhof führte. Dort schlüpften sie durch ein kleines Loch in einer Mauer und fanden sich in einem verwilderten Garten wieder.
In dem Garten stand ein alter Wohnwagen, den die Kinder als Hauptquartier benutzten. Es begann zu regnen, trotzdem war es im Wohnwagen kuschelig und gemütlich. Jan holte den Kriminalteil aus seinem Rucksack, da bemerkte Jana: "Moment mal! Das ist gar kein Kriminalartikel, sondern ein Bericht über ein Einhorn." Paul las ein bisschen in den Artikel hinein und sprang plötzlich auf. "Es soll ein Einhorn in der Nähe der Villa des Bürgermeisters gesichtet worden sein." "Was, ein Einhorn?", fragte Jan verblüfft. "Lass sehen!"
Kurz danach rasten unsere Freunde zu der drei Kilometer entfernten Villa des Bürgermeisters. Vor dem überdimensionalen Haus befand sich ein frisch geteerter Gehweg. Als sie den Gehweg genauer untersuchten, sahen sie deutlich Hufabdrücke und sogar einen leichten goldenen Schimmer im noch weichen Teer. Leider konnten sie die Abdrücke nicht noch näher betrachten, weil sie sonst in den noch frischen Teer hätten treten müssen. Noch dazu war die Stelle abgesperrt. Doch Jan hielt wie üblich nichts auf, er sprang über das Absperrband und kam kurz vor dem geteerten Feld auf. "Ich reiche dir den Gips rüber", meldete sich Jana. "Hä?", fragten Jan und Paul gleichzeitig. "Ja, ich hatte so ein Gefühl und da habe ich ihn vorsichtshalber mitgenommen", erwiderte sie. "Okay", sagte Jan. "Dann gib mal her." Er pinselte den Gips auf die Abdrücke. Zuvor hatte er noch mit einem Stück Papier die schimmernde Farbe abgeschabt. "So, fertig", sagte Jan. Auf einmal knirschte Jana: "Worauf wartest du denn noch?" Dann schauten alle in die Richtung, in die Jan schaute. Da war nichts. Obwohl ... nicht ganz. Dort waren Wischspuren, als ob jemand versuchte, etwas zu verbergen.
Nachdem sie die Stelle gründlich untersucht hatten, fuhren sie zu Jana nach Hause, um einen Teil der Detektivausrüstung zu holen. Denn Jana hatte in ihrem Schrank mehrere Geheimfächer, in denen niemand rumschnüffeln konnte. Sie hatte vier Geschwister und wohnte in einer Sechs-Zimmer-Wohnung. Als sie die Ausrüstung geholt hatten, fuhren sie bis zu einem 68-stöckigen Wolkenkratzer. Die Freunde fuhren mit dem Aufzug bis in den 53. Stock, klopften an eine Tür und traten ein, nachdem Pauls Mutter ihnen geöffnet hatte.
Pauls Eltern waren nicht die Reichsten. Er hatte ein Geschwisterchen und die Familie lebte in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Auf seinem Kleiderschrank lagerten die riesigen Rucksäcke der Freunde, in denen sie die komplette Ausrüstung verstauten. Danach fuhren sie Richtung Stadtmitte, um weitere Informationen über das Einhorn zu sammeln.
Obwohl keiner von ihnen so recht an die Geschichte mit dem Einhorn glauben wollte und sie das Ganze einstimmig für Fake News hielten, hatten sie auch keine Erklärung dafür. Auf einmal ging es nicht mehr weiter, die Straße war verstopft. Die drei Detektive mussten absteigen und sich zu Fuß einen Weg durch die Menschenmenge bahnen. Als die Kinder am Ende der Menge ankamen, trauten sie ihren Augen nicht. Dort galoppierte tatsächlich ein Einhorn. Es galoppierte sogar sehr schnell und raste an ihnen vorbei. "Los, auf die Räder", schrie Jan. Sie bretterten über die Straßen, mehrere Autos mussten überstürzt bremsen und begannen zu hupen.
Da bog das Einhorn um die Ecke und war verschwunden. Dafür waren dort dünne Reifenspuren. Mal wieder sicherten sie die Spuren mit Gips. Als der Gips getrocknet war, fuhren sie, nach der nicht ganz geglückten Verfolgungsjagd, wieder an die Stelle, an der das Einhorn aufgetaucht war. Dort hatte sich die Menschenmenge immer noch nicht aufgelöst. Eines war sehr merkwürdig: Von drei Fabriken, die Plüscheinhörner herstellten, waren Angestellte anwesend, die laut rumschrien: "Kauft Einhörner als Andenken an dieses Ereignis. Kauft Leute, kauft!"
"Schreib mal alles auf", flüsterte Jana zu Paul. Und als Paul fertig war, zogen sie sich in eine ruhige Gasse zurück. Paul las die Namen der Fabriken, die beteiligt waren, leise vor: "Also die erste Fabrik ist die wahrscheinlich pleiteste Fabrik der Welt, ihr Name ist Noschanapun. Die zweite heißt Naniraga und die dritte ist die größte Fabrik der Welt." "Okay, dann ist die Pleiteste die mit dem naheliegendsten Motiv", sagte Jana. "Ja, und wie kommen wir jetzt weiter", hakte Paul nach. "Wir müssen uns bei der verdächtigsten Firma umschauen", sagte Jana entschlossen. "Spinnst du eigentlich oder muss ich einen Krankenwagen rufen?", rief Paul erschrocken. "Na und, was schlägst du sonst vor", bemerkte sie energisch. "Da muss ich ihr recht geben", fügte Jan hinzu. "Na gut", nuschelte Paul. Da sagte Jana: "Okay, wir treffen uns vor der Fabrik Noschanapun um 24.00 Uhr."
Kurz vor Mitternacht verließen die drei ihre Häuser und fuhren getrennt voneinander zur Fabrik. Kein Wunder eigentlich, dass sie in dem heruntergekommenen Viertel lag, denn auch die Fabrik selber hatte schonmal bessere Tage erlebt. "Tokio-Verbrecherfrei" hielt vor einer Tür, die in den Hinterhof führte. Weil die Einhorn-Kuscheltier-Fabrik sehr pleite war, mussten sie nur ein altes Schloss aufknacken. Als sie im Innenhof ankamen, blieb ihnen der Atem stehen.
Im Hof stand ein Mädchen und brachte etwas an einem Zaun an. Es war das Mädchen, das sie zuvor bei ihren Erzfeinden gesehen hatten. "Hallo, was machst du da?", fragten sie streng. Das Mädchen zuckte zusammen und sagte ertappt: "Ich habe die Fabrik durchsucht und herausgefunden, dass sie unschuldig ist, denn ich habe alles durchsucht und nicht mal die kleinste Spur gefunden." "Ja, aber warum hast du das getan?", hakten sie nach. "Na ja, ich wollte mich damit entschuldigen und zu euch gehören." "Okay, aber zuerst müssen wir testen, ob wir dir vertrauen können." Eine tiefe Stimme hinter den Freunden sagte: "Wenn ihr überhaupt noch zusammen spielen dürft!" Alle drehten sich um und dort stand das ganze Team der Produktion.
Da sagten die Kinder im Chor: "Ich glaube, das heißt: Abhauen!" Sie rannten los, schmissen hinter sich die Tür zu, sprangen auf die Räder und rauschten davon. Das Mädchen machte ihnen alles nach. Sie fuhren so schnell, wie es nur ging. Da stellte sich den Freunden ein Hochhaus in den Weg. "Da gibt es nur einen Weg", meinten die drei Detektive. Die Gruppe hüpfte mit ihren Rädern (!) über Fensterrahmen und Balkone. Eine Katze kreischte laut, als sie die Freunde sah: "Mijauuuuu!" Ein Mann schimpfte: "Sofort runter, sonst rufe ich die Polizei!" Und eine alte Frau hat nur "Aaaaaaaaaah!" geschrien.
Als sie auf dem Dach ankamen, guckten alle runter. Es waren ungefähr 30 Meter und die Kinder hörten im Treppenhaus schon Schritte. Es gab ein Nachbarhaus, das aber 1,50 Meter entfernt und zwei Meter tiefer war. "Gut, dann müssen wir jetzt springen", sagte das neue Mädchen. "Und ich heiße übrigens Karla." "Spinnst du?", sagte Paul ängstlich. Alle sogen hörbar die Luft ein, als Karla mit ihrem Fahrrad Anlauf nahm und aufs andere Haus sprang. Zwei Sekunden später war auch Jan drüben. Da sagte Jana: "Na gut, dann komm ich auch noch dazu." Plötzlich krachte die Tür zum Dach auf und die Mitarbeiter der Fabrik kamen heraus. "Paul, du musst jetzt springen!", schrie Jana. Und dann sprang Paul auch. Aber er schaffte es nicht ganz. Verzweifelt klammerte er sich an der Hauskante fest. An seinen Beinen hing sein Fahrrad. Alle zusammen zogen sie ihn wieder hoch.
Aber leider sahen sie auch, wie die Mitarbeiter unten in das Haus stürmten. Trotzdem rannten sie das Treppenhaus hinunter. Die Räder ließen sie auf dem Dach zurück. Erst im Erdgeschoss kamen ihnen die Mitarbeiter entgegen, weil sich die Haustür verklemmt hatte. Zum Glück öffnete in diesem Moment eine ältere Frau die Wohnungstür und die Freunde sausten hinein. Hinter dem Haus floss ein schmaler, aber tiefer Bach. Sie öffneten ein Fenster und sprangen in den Bach. Im Wasser klammerten sie sich an einem Holzstück fest. An einer flachen Stelle gingen sie wieder an Land. Es war schon fast 01:00 Uhr nachts.
Da tauchte auf einmal wieder das Einhorn auf. Als es die Freunde erblickte, machte es sofort kehrt. Die Kinder rannten ihm hinterher. Komischerweise waren sie diesmal schneller als das Einhorn, obwohl sie ihre Räder auf dem Dach stehen gelassen hatten. Bis die fünf Detektive an der Naniraga-Fabrik ankamen, verloren sie kein bisschen an Tempo. Da sahen die Kinder gerade noch, wie das Einhorn im Eingang verschwand. Und die fünf Detektive, weil wir den Papagei fast vergessen hätten, hielten an. "Na toll, und wie kommen wir da jetzt rein? Hier sind überall Überwachungskameras", meckerte Paul. "Oh Mann!", sagte Karla. Geschickt lief sie so an den Kameras vorbei, dass sie nicht gesehen werden konnte, zog ihren Socken über die Kameras und setzte sie damit außer Gefecht. Danach trat sie mehrmals gegen die alte Tür, bis diese sich etwas lockerte. Dann nahm sie einen Schraubenzieher und schraubte an bestimmten Stellen herum.
Endlich ging die Tür auf. "So, bitte einzutreten", sagte Karla lächelnd. Als alle drinnen waren, sahen sie sofort das Einhorn. Dieses war jedoch bei genauerem Hinschauen nur aus Pappe und fuhr auf winzigen Glasrädern. Jetzt war es auch kein Problem mehr, in das Gebäude zu kommen. Sobald man reinkam, sah man sofort, warum man hier auf moderne Überwachungskameras setzte. Überall um sie herum waren Briefe. Als sie die Briefe durchlasen, erkannten sie, dass es sich um Erpresserbriefe handelte, die hier versteckt gelagert wurden. Hier waren sogar Briefe an den Journalisten, der den Artikel über das Einhorn geschrieben hatte, adressiert. Sie riefen sofort bei der Polizei an und machten von allem mit Janas Kamera Fotos. Die Aufdeckung der Fake News würde sich schnell verbreiten!
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