Neu im Kino

"Das brandneue Testament" ist ein geistreicher Spaß

Jaco Van Dormaels neue Komödie schildert die Genesis aus der Perspektive einer 10-Jährigen. Er schafft eine Tonlage zwischen surrealem Schelmenstück und melancholischem Gleichnis.  

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Neu im Kino: Das brandneue Testament  | Foto: Fabrizio Maltese / nfp
Neu im Kino: Das brandneue Testament Foto: Fabrizio Maltese / nfp
Soso, er existiert also, dieser Herr Gott. Und entgegen weit verbreiteten Annahmen lebt er nicht in irgendwelchen außerirdischen Sphären, sondern in einer unbehaglichen Dreizimmerwohnung in Brüssel, ganz oben in einem unscheinbaren Hochhaus. Den ganzen Tag schlurft er missgelaunt im Bademantel herum, trinkt Bier, beschimpft seine Frau, schlägt seine Tochter. Und verdirbt mit seinem Instrument der Macht, einem alten DOS-Rechner, den Menschen per göttlicher Direktive den Alltag. Gott: ein Pascha, ein Prolet.

Es hat gewiss schon weniger waghalsige Prämissen gegeben im Kino. Doch Jaco Van Dormael ("Toto der Held") demonstriert von Anfang an, dass er genug Witz und Fantasie für die ganz großen Fragen besitzt und schwere Themen mit leichter Hand zu behandeln weiß: Die Genesis, aus der Perspektive der 10-jährigen Éa (Pili Groyne) geschildert, schafft eine Tonlage zwischen surrealem Schelmenstück und melancholischem Gleichnis. Mit frühreifer Ernsthaftigkeit "korrigiert" die kleine Gottestochter unsere Vorstellungen vom Schöpfungsakt und beklagt zugleich die Niveaulosigkeit ihres Herrn Papa (herrlich: Benoît Poelvoorde).

Van Dormael arrangiert das als rasante Montage, setzt schräge Inszenierung neben dokumentarische Ausschnitte, lässt Giraffen durch die menschenleere belgische Metropole staksen, porträtiert Gottes Heim als im Gelsenkirchener Barock eingerichteten Alptraum, verblüfft mit altmodischer und moderner Tricktechnik – eine ganz eigene Mischung aus komödiantischer Übertreibung und lebenskluger Seriosität. Das alles erinnert an den überbordenden Stil von Jean-Pierre Jeunet, an "Delicatessen" und natürlich an "Ámelie". Aber Jaco Van Dormaels Vision ist weniger exzessiv, will nicht so sehr imponieren, sondern tiefer berühren.

Wunderbare Verlierer und der Sinn des Lebens

Nachdem Éa selbst Gott gespielt (sie teilt den Menschen ihr jeweiliges Todesdatum per SMS mit) und ihren "Geburtskanal" hinter sich gelassen hat (eine endlose Röhre, die die göttliche Waschmaschine mit der irdischen Realität verbindet), widmet sie sich ihrer selbst auferlegten Mission. Sie will sechs zusätzliche Apostel rekrutieren, deren Namen sie in Gottes himmelhohem Aktenschrank gefunden hat, und wird dabei von einem Clochard (Marco Lorenzini) begleitet, der ein brandneues Testament verfassen soll und, weil er als so ziemlich einziger Mensch kein Handy besitzt, den Tag seines Todes nicht kennt. Éas neue Apostel sind: eine einarmige Frau, ein grauer Angestellter, ein Sexsüchtiger, ein Mörder, eine einsame Hausfrau und ein kleiner Junge, der lieber ein Mädchen wäre.

"Wunderbare Verlierer" nennt Van Dormael die Mitglieder dieses Ensembles, und wie die kleine Éa jedem neuen Apostel ein charakteristisches Lied zuordnet, lässt der Regisseur jeder biografischen Episode einen eigenen filmischen Stil angedeihen. Der Ton wechselt dabei von zartfühlend bis grotesk (Catherine Deneuve landet mit einem Gorilla im Bett), von wehmütig bis märchenhaft (Didier de Neck folgt einem Vogel bis zum Nordpol). Und so offensiv Van Dormael dabei auch übertreiben mag, so ernsthaft ist er doch an seinen Figuren und ihren Problemen interessiert.

Über allem schwebt nichts weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens, die seltsamerweise erst dann eine neue Drehung bekommt, wenn die Endlichkeit der menschlichen Existenz nicht mehr wegzudiskutieren ist. Sanft und zugleich nachdrücklich erinnert uns "Das brandneue Testament" daran, keine Zeit zu verlieren.

"Das brandneue Testament" von Jaco Van Dormael läuft in Freiburg. (Ab 12)

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