BKA-Herbsttagung
Cyber-Kriminologe: "Es bräuchte eine Art digitale Polizei"
Betrug, Hassreden und Radikalisierung – das Internet ist zu einer Herausforderung für die Sicherheitsbehörden geworden. Ein Cyber-Kriminologe spricht im Interview über die Gamer-Szene und die Kriminalität im Internet.
Do, 28. Nov 2019, 15:44 Uhr
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BZ: Extremistische Botschaften in Foren, Hass-Postings und Internet-Kriminalität sind seit Jahren ein Problem. Warum tun sich die Behörden so schwer damit ?
Rüdiger: Zunächst einmal ist es ein sehr unübersichtliches Feld. Natürlich können hinter entsprechenden Nutzernamen teilweise Extremisten stehen, denen es dann auch darum gehen kann, junge Menschen zu indoktrinieren. Bei vielen jugendlichen Nutzern ist aber vermutlich auch Provokation und Inszenierung ein Beweggrund. Das Netz potenziert diese Probleme aber, weil es ein globaler Raum ist, in dem es keine physischen Grenzen gibt. Das macht das Internet zwar nicht zu einem rechtsfreien Raum. Dennoch ist man dort jeden Tag mit problematischen Kommentaren, Sexualdelikten oder anderen Straftaten – man denke nur an die täglichen Phishing Emails – konfrontiert, ohne dass dies Folgen für die Täter hätte. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass im Internet Straftaten angezeigt und verfolgt werden, ist viel geringer als bei rein analogen Delikten. Dieses Fehlen von Konsequenzen hat zur Folge, dass Hemmschwellen im Netz viel schneller überschritten werden. Dies ist auch ein Grund für die geringe Normenakzeptanz im digitalen Raum.
BZ: Es handelt sich also um ein Problem der Strafverfolgung?
Rüdiger: Auch. Der Staat, vor allem die Sicherheitsbehörden sind kaum im Internet präsent, um zu zeigen, dass die soziale Kontrolle auch im Netz greift und die Regeln durchgesetzt werden. Das ist eine Aufgabe, die den nationalen Rahmen sprengt. Aber zumindest im deutschsprachigen Raum könnte man mehr tun. Deutschland, Österreich und die Schweiz könnten sich auf eine Harmonisierung ihrer Straftatbestände im Netz einigen. Polizei und Sicherheitsbehörden müssten dort viel sichtbarer werden.
Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyberkriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft an der Hochschule der Polizei Brandenburg. Er ist einer der Referenten bei der diesjährigen BKA-Herbsttagung in Wiesbaden.
BZ: Wie würde das konkret aussehen?
Rüdiger: Es bräuchte eine Art digitale Polizei, die mit regelmäßigen Streifen Präsenz im Internet zeigt. Ganz so, wie man das auch aus der physischen Realität kennt. Diese Streifen könnten beispielsweise direkt bei strafbaren Postings einschreiten und die Urheber und damit auch andere Leser darauf aufmerksam machen, dass es sich um strafbare Inhalte handelt, die dann auch zur Anzeige gebracht werden. Wir müssen zu einer zufälligen Wahrscheinlichkeit gelangen, dass Straftaten im öffentlichen Bereich des Internets angezeigt und verfolgt werden. Die seit Jahren sinkenden allgemeinen Fallzahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik können auch damit zu tun haben, dass sich viele Straftaten ins Netz verlagert haben, ohne dass die Sicherheitsbehörden im selben Maße ihre Ressourcen verschoben hätten. Das könnte im Übrigen auch ein Erklärungsansatz dafür sein, warum das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in den vergangenen Jahren offenbar niedrig ist.
BZ: Nach dem Terroranschlag von Halle hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, die Gamer-Szene stärker unter die Lupe nehmen zu wollen. Dafür ist er stark kritisiert worden. Zu Recht?
Rüdiger: In Deutschland spielen 36 Millionen Menschen Computerspiele, ich selbst übrigens auch. Wenn also die Gamer das primäre Problem wären, dann könnte man sich nicht mehr auf die Straße trauen. Es gibt aber andere Aspekte, die man berücksichtigen sollte.
BZ: Und die wären?
Rüdiger: Der Start in den digitalen Raum beginnt für Kinder und Jugendliche heute in aller Regel mit Online-Spielen. Sie kommunizieren dabei untereinander und treffen zwangsläufig auch auf ältere Jugendliche und Erwachsene, die dort ihre politischen Haltungen zur Schau stellen und einige, die sich auch problematisch äußern. Und man findet entsprechend in Online-Spielen auch Extremismus. Zum Beispiel in Gestalt von extremistischen Nutzer- oder Gildennamen. Das ist ein reales Problem, weil so Kinder unvorbereitet mit Dingen konfrontiert werden, denen sie im physischen Raum nicht in derselben Form ausgesetzt sind. Auch Sexualstraftaten sind ein großes Thema. Stellen Sie sich vor, ein 35-jähriger Fremder spricht auf der Straße eine 8-Jährige an. Er nennt sich vielleicht Waffen-SS oder Adolf H., spielt mit dem Mädchen und tauscht mit ihr seine Handynummer aus. Da würde doch jeder komisch finden und hoffentlich einschreiten. Im Netz passieren solche Dinge auch, jedoch ohne, dass Kinder effektiv davor geschützt werden.
BZ: Was könnte man denn dagegen tun?
Rüdiger: Das ist ein Punkt, um den sich eigentlich auch die Eltern kümmern sollten. Viele können oder wollen das offenbar aber nicht. Auch Betreiber von sozialen Medien sollten daher dazu verpflichtet werden, entsprechende Schutzmaßnahmen einzurichten. Ein erster Schritt müsste sein, entsprechende Altersbegrenzungen einzuführen, die gibt es bislang jedoch lediglich als Untergrenzen. Wir sollten aber auch über Obergrenzen sprechen. An Spielplatzen hängt hin und wieder ein Schild, das Kindern über 14 Jahren die Nutzung untersagt. Warum gibt’s sowas nicht auch bei Spielen und Programmen, die für Kinder freigegeben sind?
BZ: Sie plädieren also für einen verstärkten Jugendschutz im Netz?
Rüdiger: Auch. Sinnvoll erscheinen mir zudem geschulte Moderatoren, die eine Art Zertifizierung durchlaufen und Grundzüge des Opferschutzes und des Strafrechts beherrschen. Ein weiterer Aspekt sind verpflichtende Meldefunktionen. Bei einigen Online-Spielen – vor allem Mobilegames – ist es beispielsweise nicht immer möglich, bei Verstößen bestimmte Nutzer- oder Gildennamen im Spiel selbst zu melden. Das sollte aber per Knopfdruck möglich sein. Bislang ist das alles viel zu kompliziert und umständlich und sicherlich nicht an Kinder angepasst.
BZ: Auch als Reaktion auf den Anschlag von Halle plant die Bundesregierung nun eine zentrale Meldestelle für Straftaten im Internet beim Bundeskriminalamt – vor allem zur Bekämpfung von Hasskriminalität. Ist das der richtige Ansatz?
Rüdiger: Im digitalen Raum werden Straftaten in aller Regel nicht von den Bürgern angezeigt. Insofern macht es schon Sinn, dass bestimmte Straftaten gemeldet werden. Allerdings lagert der Staat damit seine Verantwortung auch ein Stück auf die global orientierten Anbieter aus, weil er nicht selbst mit Polizeikräften sichtbar im Netz unterwegs ist und damit das Vertrauen in den Rechtsstaat und mittelbar die Anzeigewahrscheinlichkeit erhöht. Entsprechend müsste der Staat dann aber für Polizei und Justiz wesentlich mehr Personal und Ressourcen zur Verfügung stellen. Dazu kommt, dass derzeit primär über Hasskriminalität und Radikalisierung gesprochen wird. Wir müssen aber darüber hinaus die Unrechtskultur im Netz allgemein bekämpfen, und zwar in allen Deliktsbereichen.
Der Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Terroranschlag von Halle: Die schlimmen Folgen von Hass und Hetze im Internet und den sozialen Medien haben Politik und Sicherheitsbehörden aufgerüttelt. Sie wollen die Gewalt von Rechtsextremisten an der Wurzel bekämpfen und dafür Polizei und Kriminalämter deutlich aufstocken. Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, und der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Hans-Georg Engelke (CDU), kündigten auf der Herbsttagung des BKA in Wiesbaden ein ganzes Bündel von Maßnahmen an. Sie reichen von mehr Personal bei Fahndern und Ermittlern bis hin zu neuen Gesetzen mit mehr Kontrolle im Netz. Das BKA baut deshalb drei neue Referate auf, allein in der personenbezogenen Überprüfung sollen 150 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Mit dem geplanten "Radar rechts" soll ein eigenes Risikobewertungssystem für rechtsextreme Gefährder eingeführt werden, ähnlich wie bereits im Bereich Islamismus. Geplant ist außerdem eine zentrale Meldestelle für Hasskriminalität, die insgesamt rund 200 Fachleute umfassen soll. Internetprovider sollen verpflichtet werden, nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz strafbare Inhalte sowie die entsprechenden IP-Adressen zu melden. Man müsse die rote Linie zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit klar markieren und durchsetzen, sagte Münch.
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