Interview
BZ-Aktion Weihnachtswunsch startet wieder: "Zeichen, dass eine kleine Freude möglich ist"
Die BZ-Aktion Weihnachtswunsch in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz unterstützt Menschen in jedem Alter – auch viele Familien. Für diese gibt es in Freiburg zwar etliche Angebote, doch die kommen nicht überall an.
Mi, 20. Nov 2024, 12:45 Uhr
Freiburg
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BZ: Auf den ersten Blick wirkt Freiburg wie eine Idylle für Kinder und Familien. Was steckt hinter der heilen Fassade?
Bühler: Es gibt tatsächlich sehr viele und schöne Angebote für Kinder und Jugendliche – vom Mundenhof über die Abenteuerspielplätze bis zu den Kinder- und Jugendzentren, dem "Haus der Jugend" und vielem mehr. Doch natürlich gibt es viele Kinder und Jugendliche, die mit verschiedenen Formen von Benachteiligung konfrontiert sind – bei der sozialen Teilhabe, der Bildung oder beim in Freiburg so teuren Wohnen. Es gibt sechsköpfige Familien, die sich eine enge Zweizimmerwohnung teilen müssen.
Schlechtendahl: Freiburg bietet als Stadt viel für Familien, aber die Frage ist immer, ob wirklich diejenigen Kinder erreicht werden, für die das besonders sinnvoll wäre. Deshalb ist es wichtig, die Zugänge zu den Angeboten so einfach und unkompliziert wie möglich zu gestalten. Natürlich gibt es in Freiburg Familien, bei denen es finanziell sehr eng ist. Im Bereich Migration, für den ich zuständig bin, betrifft das sehr viele, vor allem diejenigen, die in den Flüchtlingsunterkünften leben. Deren Lage ist sehr prekär.
BZ: Wie viele Kinder in Freiburg sind arm?
Schlechtendahl: Wir haben keine Statistik zur Kinderarmut in Freiburg. Doch ich habe Zahlen für die Aktion Weihnachtswunsch: Mindestens 55 Prozent derjenigen, die einen Antrag für einen Zuschuss stellen, leben in Haushalten mit mindestens drei Personen.
Bühler: Von den Familien, mit denen wir bei den Ambulanten Hilfen zur Erziehung des DRK zu tun haben, sind rund 80 Prozent von Armut betroffen. Ein besonders großes Problem sind die hohen Mieten und der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Früher haben wir unsere Familien bei der Wohnungssuche unterstützt. Das haben wir aufgegeben, weil es nicht mehr realistisch ist, zum Beispiel für eine fünfköpfige Familie eine günstige Wohnung zu finden.
"Früher haben wir unsere Familien bei der Wohnungssuche unterstützt. Das haben wir aufgegeben, weil es nicht mehr realistisch ist, zum Beispiel für eine fünfköpfige Familie eine günstige Wohnung zu finden."
BZ: Was sind neben dem großen ungelösten Problem des überteuerten Freiburger Wohnungsmarkts die größten Herausforderungen für Familien?
Schlechtendahl: Das ist sehr vielschichtig und hat nicht nur, aber natürlich auch mit Geld zu tun: Wer sparen muss, kann Kindern kaum anregende Aktivitäten wie Theater- oder Schwimmbadbesuche oder Musikunterricht bieten, und keine hochwertigen Lebensmittel oder gute Kleidung. Erst recht kompliziert wird es, wenn ungeplante Ausgaben dazukommen, zum Beispiel weil etwas kaputtgeht. Das alles ist mit viel Scham verbunden.
Bühler: Aus alldem ergeben sich viele Situationen, die für Kinder schwierig sind. Wenn gutverdienende Eltern die Standards für die Gestaltung von Kindergeburtstagen vorgeben, können die anderen mit weniger Geld nicht mithalten. Bei vielen sind die Wohnungen auch zu klein für eine Feier. Da kann es helfen, auf Parks oder Grillplätze auszuweichen.
Kerstin Schlechtendahl (52), ist Sozialpädagogin und seit 2016 Fachbereichsleiterin Migration und Integration beim Deutschen Roten Kreuz. Sie ist beim DRK zuständig für die Koordination der Aktion Weihnachtswunsch.
Maike Bühler (50), ist Diplom-Pädagogin und seit 2013 Einsatzleiterin im Bereich Ambulante Hilfen zur Erziehung beim DRK. Davor hat sie seit 2007 selbst Familien mit Ambulanten Erziehungshilfen unterstützt.
BZ: Wie wirken sich die vielen Krisen derzeit auf Kinder und Jugendliche aus?
Schlechtendahl: Sie sind sehr belastet, es gibt einen hohen Bedarf nicht nur an pädagogischer, sondern auch an therapeutischer Hilfe. Und die Wartezeiten auf solche Hilfen sind viel zu lang.
"Die Probleme zeigen sich zum Beispiel daran, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr regelmäßig zur Schule gehen, dass sie antriebslos und isoliert sind und Depressionen haben."
BZ: Was können Sie da tun – und wie zeigen sich diese Belastungen ganz konkret?
Schlechtendahl: Wir bemühen uns, die Ressourcen und Netzwerke der Familien zu stärken und die Situation zu stabilisieren, bis therapeutische Hilfe möglich ist.
Bühler: Außerdem versuchen wir, Termine mit geeigneten Ärzten und Therapeuten zu finden. Die Probleme zeigen sich zum Beispiel daran, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr regelmäßig zur Schule gehen, dass sie antriebslos und isoliert sind und Depressionen haben. Geflüchtete Kinder sind oft psychisch traumatisiert.
BZ: Und wie geht es den Eltern?
Bühler: Natürlich sind viele belastet durch die Inflation, die Wohnprobleme, prekäre Arbeitsbedingungen – und oft auch durch die mittlerweile nicht mehr verlässliche Kinderbetreuung. Wegen des Fachkräftemangels kommt es immer häufiger vor, dass die Kita plötzlich ausfällt, weil das Personal krank ist. So etwas gab es früher nicht.
BZ: Wie können die Mitarbeitenden vom DRK Familien unterstützen?
Schlechtendahl: Es gibt unsere ambulanten Hilfen zur Erziehung, da geht es zum Beispiel um pädagogische Fragen, Alltagmanagement, Weitervermittlung zu Fachstellen und den Aufbau eines stützenden Netzwerks. Wir schauen immer genau hin: Welche Ressourcen sind da? Was ist möglich, trotz der Probleme? Es ist wichtig, nicht zu verharren, sondern Perspektiven zu sehen und zu nutzen. Es geht um Selbstermächtigung, um die Erfahrung: Ich kann etwas, und ich kann Dinge verändern. Das DRK bietet unter anderem auch Bildungskurse, Müttercafés, Behördenlotsen, Beratung und Schulsozialarbeit an. Auch die Aktion Weihnachtswunsch ist wichtig – nicht, um das Elend in Freiburg zu lindern, das können wir nicht. Aber als Symbol, als Zeichen, dass dennoch eine kleine Freude möglich ist, weil man sich ausnahmsweise mal etwas leisten kann.
Spendenkonto: Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau, IBAN: DE77680501010002399506, BIC: FRSPDE66XXX. Stichwort "Aktion Weihnachtswunsch". Alle Spenden fließen in einen Topf, aus dem dann Zuschüsse verteilt werden. Sachspenden können leider nicht entgegengenommen und vermittelt werden. Spenden sind auch online möglich unter: https://mehr.bz/weihnachtswunsch-spende.
BZ
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