Wahlrecht
Bundestagswahl 2025: So wird der neue Bundestag gewählt
2023 wurde das Wahlrecht für den Bundestag geändert. Die Zahl der Abgeordneten ist nun begrenzt. Das kann bei der Wahl am 23. Februar problematische Folgen haben.
Di, 28. Jan 2025, 8:00 Uhr
Deutschland
Thema: Bundestagswahl 2025
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Ein neues Wahlrecht
Vor zwei Jahren ist das Wahlrecht für den Bundestag geändert worden, am 23. Februar wird das neue Verfahren erstmals angewendet. Grund für die Änderung war die Größe des Bundestags. Nach der Wahl 2021 hatte er 736 Abgeordnete, das galt als zu viel. Wegen der sogenannten Überhangmandate hätten es theoretisch noch mehr sein können. Diese Mandate wurden nun abgeschafft. Die Zahl der Abgeordneten wurde auf 630 festgelegt.
Die Wahlkreise
Gewählt wird in 299 Wahlkreisen, in denen jeweils rund 250.000 Wahlberechtigte leben. Im Verbreitungsgebiet der BZ sind es fünf Wahlkreise. In jedem treten sogenannte Direktkandidatinnen und -kandidaten der Parteien gegeneinander an. An diese vergeben die Wählerinnen und Wähler ihre Erststimme. Wer die meisten bekommt, wird Abgeordneter oder Abgeordnete. Theoretisch. Das neue Wahlrecht hat hier einen Knackpunkt. Nicht jeder Wahlkreisgewinner kommt in den Bundestag. Denn das hängt zusätzlich von den Zweitstimmen ab.
Mit ihrer Zweitstimme wählen die Menschen keine Person, sondern eine Partei. Entscheidend ist, wie viele Zweitstimmen eine Partei bundesweit bekommt. Danach richtet sich die Zahl ihrer Abgeordneten im Bundestag, das ist die sogenannte Oberverteilung. Entscheidend ist aber auch noch, wie viele Zweitstimmen die Parteien in den einzelnen Bundesländern geholt haben. Je nachdem schicken ihre Landesverbände mehr oder weniger Abgeordnete nach Berlin. Das ist die sogenannte Unterverteilung. Sie führt dazu, dass Bundesländer, in denen viele Menschen wählen gehen, mehr Abgeordnete in den Bundestag schicken, als Länder, in denen weniger Menschen wählen gehen. Nach der bisher letzten Bundestagswahl 2021, so sagt der Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal, hatte Bayern 22 Prozent mehr Abgeordnete pro Wahlberechtigtem als Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg sogar 31 Prozent mehr.
Die "Zweitstimmendeckung"
Es kann nun passieren, dass eine Partei in vielen Wahlkreisen die Direktmandate gewinnt. Baden-Württemberg hat 38 Wahlkreise. Zuletzt hat die CDU diese immer fast alle gewonnen. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es 33 Direktmandate, vier gingen an die Grünen, eines an die SPD. Wenn die CDU dieses Mal zwei Wahlkreise mehr gewinnen würde, heißt das aber nicht, dass auch die dort gewählten Kandidaten einen Sitz im Bundestag bekommen. Es müssten zugleich nach der Unterverteilung in Baden-Württemberg der CDU mindestens 35 Abgeordnete zustehen. Sind es etwa nur 33, bekommen zwei direkt gewählte Kandidaten kein Mandat. Leer ausgehen würden diejenigen, die in ihren Wahlkreisen die wenigsten Stimmen im Vergleich zu den anderen CDU-Gewinnern bekommen haben. Ihr Direktmandat wäre nicht durch die Zweitstimmen "gedeckt", wie es in der Fachsprache heißt.
Früher hatten alle direkt gewählten Kandidaten ihr Mandat sicher. Hatte eine Partei dadurch mehr Mandate, als ihr nach den Zweitstimmen zustanden, sogenannte Überhangmandate, so bekamen die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate. Daher kam die große Zahl von Abgeordneten im Bundestag. Mit der Begrenzung auf 630 wurden diese zusätzlichen Mandate abgeschafft.
Der Wahlkreissimulator
Der Politologe Wagschal hat mit seinen Mitarbeitern einen digitalen "Wahlkreissimulator" entwickelt, der auch im Netz öffentlich zugänglich ist. Er erlaubt es, durchzuspielen, was bei der Bundestagswahl je nach den Wahlergebnissen der einzelnen Parteien passiert. Ein wesentlicher Faktor ist die Zahl der Parteien im neuen Bundestag. Es gibt mit FDP, Linke und BSW drei kleinere Parteien, deren Einzug ins Parlament wegen der Fünf-Prozent-Hürde nicht sicher ist. Wenn sie aber in den Bundestag kommen, verringert sich automatisch die Zahl der Mandate für die größeren Parteien.
Wagschal und seine Kollegen haben zwei extreme Szenarien durchgerechnet. Beim "All-in-Szenario" kommen FDP, Linke und BSW alle drei in den Bundestag. Das hätte für CDU/CSU, die voraussichtlich viele Direktmandate holen werden, dramatische Folgen: Weil die Zahl ihrer Mandate sinkt, würden nicht alle ihre gewählten Direktkandidaten in den Bundestag einziehen. Es könne mehr als 40 ungedeckte Wahlkreise für die Union geben, so das Ergebnis der Simulation. Die höchste Zahl, so Wagschals Studie, würde sich für Baden-Württemberg ergeben: bis zu acht ungedeckte Mandate.
Zum Beispiel Freiburg
Eines könnte theoretisch das im Wahlkreis Freiburg sein. Sollte der CDU-Kandidat Klaus Schüle hier gegen die Bundestagsabgeordnete Chantal Kopf von den Grünen und den SPD-Kandidaten Ludwig Striet gewinnen, wäre es ein knapper Sieg, knapper als in den ländlichen Wahlkreisen, welche die CDU gewinnen wird. Somit würde Schüle nicht unbedingt Abgeordneter. Demokratietheoretisch seien solche Fälle schlimm, sagt Wagschal: "Wir haben einen Wahlkampf und die Menschen gehen davon aus, dass sie mit der Erststimme einen Kandidaten wählen. Es kann aber sein, dass der Gewählte dann gar nicht in den Bundestag kommt."
Chantal Kopf ist bei den Grünen auf dem Platz neun der Landesliste. Sie käme auch in den Bundestag, wenn sie in Freiburg nicht direkt gewänne. Der Wahlkreis wäre im Parlament vertreten. Es könnte aber auch Wahlkreise geben, so Wagschal, die wegen der ungedeckten Mandate keinen Abgeordneten mehr haben. Das findet der Politologe problematisch: "Wir garantieren nicht mehr, dass jeder Wahlkreis vertreten ist, da wird die Wahl zur Vorspiegelung falscher Tatsachen." Und er beklagt noch etwas: Direkt gewählte Unionskandidaten mit knappen Ergebnissen in urbanen Wahlkreisen könnten gegenüber denen mit besseren Ergebnissen in ländlichen Regionen durchweg das Nachsehen haben. Es würden dann überproportional mehr Vertreter des linken politischen Spektrums die städtischen Wahlkreise repräsentieren, Vertreter von CDU und AfD die ländlichen. So werde das Wahlrecht zum "Motor für Polarisierung".
Verschwendete Stimmen
Das zweite von Wagschal durchgerechnete Wahlergebnis ist das "All-out-Szenario": Weder BSW noch FDP überspringen die Fünf-Prozent-Hürde – und auch der Linken bleibt der Einzug ins Parlament verwehrt. Bei der vergangenen Wahl bekam die Linke 4,9 Prozent der Stimmen, kam aber durch die sogenannte Grundmandatsklausel wegen dreier gewonnener Direktmandate in Berlin und Leipzig in den Bundestag. Ob ihr das wieder gelingt, ist ungewiss.
Wenn nun alle drei kleineren Parteien nicht ins Parlament kommen, blieben ihre Stimmen unberücksichtigt, es wären "wasted votes", wie Politikwissenschaftler Wagschal sie nennt. Genauso wie die Stimmen für Splitterparteien, die auch noch auf dem Wahlzettel stehen. Bei der Wahl 2021 hatten sie zusammen knapp neun Prozent geholt. "Bis zu 20 Prozent der Wähler könnten nicht repräsentiert sein", sagt Wagschal. Auch das findet er in einer Demokratie problematisch.
Eine zweite Folge hätte es, wenn die Kleinen draußen blieben: Die Zahl der ungedeckten Direktmandate der größeren Parteien würde auf nur noch neun sinken, wie Wagschal und Kollegen mit ihrem Simulator errechnet haben. Das neue Wahlrecht endet also in einem Dilemma: Je mehr Wähler im Bundestag repräsentiert sind, desto mehr Direktmandate bleiben ungedeckt, je mehr Direktmandate gedeckt sind, desto weniger Wählerstimmen sind repräsentiert. Es ist "die Wahl zwischen Pest und Cholera", was diese zwei Aspekte der politischen Repräsentation anbelangt, sagt Wagschal, auch wenn der Proporz für die Parteien, die ins Parlament einziehen, gewahrt sei.
Der Wahlkreissimulator im Netz: mehr.bz/wahlkreissimulator. Einen Online-Talk mit Uwe Wagschal über "Die gespaltene Republik: das Ende der Ampel-Koalition und ihre Folgen" veranstaltet das Freiburger Colloquium politicum am 30. Januar. Anmeldung: mehr.bz/wagschal.