Natascha Adamowsky

"Mich wundert, dass noch nie jemand gegen die Sendung geklagt hat"

Das Prinzip der RTL-Sendung "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" ist immer gleich. Was das Publikum dennoch daran reizt, erklärt Medienwissenschaftlerin Natascha Adamowsky im Interview.  

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Der Ex-Fußballprofi und die Frau des Bordellbesitzers: Thorsten Legat und Sophia Wollersheim gehören zum Personal der zehnten Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ Foto: RTL / Stefan Menne
Die Unterkunft ist so karg wie das Essen, dazu kommen Prüfungen, die an Ekelgrenzen gehen. Das Publikum entscheidet Tag für Tag, wer das Lager verlassen muss. Am Schluss bleibt einer übrig, der zum König des Dschungelcamps gekürt wird. Peter Disch hat sich mit der Medienwissenschaftlerin Natascha Adamowsky über das Format unterhalten, dessen zehnte Staffel am Samstag endet.

BZ: Was reizt das Publikum an einem Format wie dem Dschungelcamp?
Adamowsky: Im Grunde ist das ein altes Phänomen. Fakire, die über Nägel laufen, Menschen mit Behinderungen oder anderen Beeinträchtigungen, die zur Schau gestellt werden – das Interesse am Leid anderer Menschen, die Faszination des Ekligen und Entwürdigenden ist kein Novum des 21. Jahrhunderts. Aber es stört uns so sehr, weil wir ja eine aufgeklärte, eine moderne Gesellschaft sein wollen. Deshalb ist die Unantastbarkeit der Würde des Menschen im Grundgesetz verankert. Es ist eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft, dieses Grundrecht zu wahren. Mich wundert, dass noch nie jemand gegen diese Sendung geklagt hat. Denn da wird die Würde des Menschen weder gewahrt noch geschützt, ganz im Gegenteil.

BZ: Als die erste Staffel 2004 auf Sendung ging, gab es massive Kritik. Davon ist heute nichts mehr zu hören. Warum ist das so?
Adamowsky: Wir werden mit so viel Grenzüberschreitungen in den Medien konfrontiert, dass sich sicherlich bei vielen Menschen eine Orientierungslosigkeit breit macht. Wenn es den Anschein hat, so etwas sei normal, dann verschieben sich auch die Maßstäbe bei vielen, die zuschauen.

BZ: Interessant ist auch, dass überregionale Medien wie die Süddeutsche Zeitung oder Der Spiegel auf ihren Internetseiten jede einzelne Folge besprechen.
Adamowsky: In vielen Kommentaren der Medien ist eine Form von Salonzynismus hoffähig geworden. Es ist nicht modern oder attraktiv, über Normen, Moral, Ethik zu sprechen. Das bringt keine Quote, keine Aufmerksamkeit, hören wir immer wieder von Medienfachleuten – verbunden mit dem Zusatz, wir sollten uns mal nicht so aufregen. Ich finde das falsch.

BZ: Das sind nicht unbedingt die Segnungen, die man sich von der Einführung des Privatfernsehens erhofft hat.
Adamowsky: Man kann immer sagen: Die Medien spiegeln nur gesellschaftliche Entwicklungen. Offensichtlich leben wir also in einer zynischen, mitleidlosen Zeit. Aber deshalb heißt das noch lange nicht, dass das gottgegeben ist. Medien könnten sich trotzdem Mühe geben, dem entgegenzuwirken. Aber ich finde, dass wenig kreatives Nachdenken darüber stattfindet. Es gibt eine konservative Empörung – so etwas geht doch nicht. Aber es gibt keine Diskussion darüber, was die Leute treibt, da mitzumachen. Wenn man sich anschaut, welche Art von Prominenz das ist: Jemand, der schon mal an einer anderen schlechten Show teilgenommen hat und rausgeflogen ist. Die Frau eines Bordellbesitzers … das ist ja ein ganz eigenartiges Personal.

BZ: In der aktuellen Staffel wurde eine Kandidatin vom Publikum Tag für Tag in die Prüfungen geschickt, obwohl die längst über Ihre Grenzen gingen. Was treibt Zuschauer dazu?
Adamowsky: Diese Sendung bringt sicher nicht das Beste im Menschen hervor. Ein bisschen geht es um Brot und Spiele. Ich rufe an und kann etwas gewinnen und dazu noch Daumen rauf oder Daumen runter spielen. Das ist das dramaturgische Modell dahinter.

BZ: Inwieweit steuert und beeinflusst der Sender das Bild der Teilnehmer?
Adamowsky: Durch die Kameraführung und den Schnitt, durch die Auswahl der Szenen, die gezeigt werden oder eben nicht. Aktuell wurde zum Beispiel der Teilnehmer Ricky Harris immer so gezeigt, dass seine unglückliche Frisur und Teilglatze besonders zur Geltung kamen. Dann ist er auch noch klein. Da war die Kameraperspektive oft so: Hier ist der Kleine ohne Haare. Wenn er sich aufregte, wurde das immer besonders breitgetreten. Selbst wenn es keine Geschichte zu erzählen gibt, wird auf diese Weise eine in das Geschehen hingelegt. Dafür sind auch die Moderatoren da, die Witze über die Kandidaten machen und den Zuschauern mit einer Art gedoppeltem Zynismus eine Leseanleitung liefern, damit man auch drin bleibt in diesem hämischen Rezeptionsmodus.

BZ: Nach neun Staffeln sollten die Kandidaten eigentlich wissen, was sie erwartet. Warum machen sie trotzdem mit und lassen sich so zur Schau stellen?
Adamowsky: Die Selbstentblößung ist ein Charakteristikum dieser Zeit. In Facebook, auf Youtube, im Fernsehen, in Talkshows. Es ist eine Form von Beichte, Selbstdarstellung, der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen. Und dann gibt es offensichtlich Menschen, die davon leben. Wenn sie nicht im Licht der Medien stehen, scheinen sie das Gefühl zu haben, niemand zu sein.

Natascha Adamowsky, Jahrgang 1967, ist Professorin für Medienkulturwissenschaft und lehrt seit 2011 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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