Besser als aus dem Geschichtsbuch
Jugendliche befragten Zeitzeugen über den Nationalsozialismus und bekamen sehr lehrreiche und authentische Antworten.
Anna Paulus
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Ein Satz, der erschreckt: "Ein Schuss ins Genick war ein komfortabler Tod - das schlimmste war, wenn Amon Göth KZ-Häftlinge von Hunden zerreißen ließ." 23 Mädchen und Jungen zwischen 16 und 19 Jahren sitzen um den 82-jährigen, jüdischen Zeitzeugen Mietek Pemper und hören ihn diesen schrecklichen Satz sagen. Aber sie hören vor allem sehr bewegt die Lebensgeschichte dieses Mannes, der im Zweiten Weltkrieg Schindlers Liste schrieb. Anlass für das Zusammentreffen von Mietek Pemper und den Jugendlichen war eine Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Freiburg.
1938 studierte Mietek Pemper noch Jura in Krakau, wenige Jahre später war er gezwungen, im Auftrag von Amon Göth Briefe an die NS-Führung in Berlin zu verfassen. "Göth erschien nachts im Lager und erschoss wehrlose Arbeiter", erzählt Pemper. Dank seines persönlichen, lebendigen Vortrags gewinnt Pemper sofort die Aufmerksamkeit der Jugendlichen, und seine Offenheit macht es leicht, Fragen zu stellen, die so im Geschichtsbuch nicht beantwortet werden. Marie aus Stuttgart versteht nicht, was einem Menschen in einer so ausweglosen Situation noch Halt und Hoffnung geben kann. Mietek Pemper antwortet ohne zu zögern: "Ich war mit meinem jüngeren Bruder und meinen Eltern im Lager Plaszow. Sie gaben mir Kraft." Außerdem, so Pemper, duldete Göth keine "unzufriedenen" Leute in seinem KZ: "Die wurden sofort getötet."
"Ein Flugzeug beladen mit nuklearen Sprengsätzen kann einen ganzen Kontinent verwüsten." Mietek Pemper
Und Selbstmordgedanken? "Nein", betont er, "daran habe ich nie gedacht. Mein Trotz und die rührenden Beweise von Verbundenheit unter den Inhaftierten waren Motivation genug, durchzuhalten." Für Johanna aus Bingen bedeutet dieser Bericht viel: "Wir wissen ja alle von den Gräueltaten im Dritten Reich, aber wenn einer berichtet, der da echt war, berührt mich das ganz anders."
Mietek Pemper hat viel Nähe zu seinen Zuhörern. Immer wieder gelingt es dem 82-Jährigen mit humorvollen, lebensfrohen Kommentaren auch Heiterkeit in den Raum zu bringen. Das vermittelt den Jungen und Mädchen, dass vor ihnen kein gebrochener, alter Mann sitzt, sondern ein weiser Herr mit hellen Gedanken, dessen Anliegen es ist, dass Menschen weder nach ihrem Aussehen noch nach ihren Worten, sondern allein nach ihren Taten beurteilt werden.
Am zweiten Tag der Veranstaltung steht klar das "Heute" im Vordergrund. Pemper spricht mit den jungen Leuten über Partnerschaft, Hollywood und einen möglichen Irak-Krieg. Er ermutigt zu Menschlichkeit in unmenschlichen Situationen, betont, dass man einen Partner meist erst in schwierigen Situationen richtig kennen lernt, beklagt sich über die Marketingfachleute in Hollywood, die wohl für die fiktive, erotische Weinkellerszene in Spielbergs "Schindlers Liste" verantwortlich sind und äußert schließlich seine Bedenken über die heutige Weltpolitik. "Falls es im Irak einen Krieg geben sollte, dann ist das ein monatelang geplantes Vorhaben! Was mir persönlich Angst macht ist die Verharmlosung der Waffen und ihrer Auswirkungen. Ein Flugzeug beladen mit nuklearen Sprengsätzen kann einen ganzen Kontinent verwüsten."
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Pemper in psychotherapeutischer Behandlung bei einer Krakauer Professorengruppe. Deren Rat war gewesen, er solle sich nach der Therapie in den Strom der "normal" Lebenden einordnen und nicht zu viel zu grübeln. Mietek Pemper hat seinen eigenen Weg gewählt. Er lebt in Augsburg, inmitten der Gesellschaft und setzt sich trotzdem noch jeden Tag mit seiner und Deutschlands Vergangenheit auseinander. Er will vor allem jungen Leuten seine Botschaft vermitteln: "Der Krieg ist der Feind." Und: "Man darf niemals ein ganzes Volk über einen Kamm scheren." Dass der freundliche, gebildete Herr sich ausgerechnet mit einem Goethe-Wort verabschiedet, passt: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut."
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