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Bauen wie im Mittelalter

  • Sa, 29. Mai 2004
    Zisch

     

Bei Auxerre in Frankreich kann man beobachten, wie eine Ritterburg entsteht.

Im Mittelalter gab es kaum einen Platz in Europa, von dem aus man nicht die Türme einer Ritterburg sehen konnte, so dicht standen die Burgen im ganzen Land. Heute sind die meisten verschwunden, von anderen sind nur Ruinen geblieben. Neue Burgen werden schon lange nicht mehr gebaut. Doch eine Baustelle gibt es noch. In der Nähe von Auxerre in Frankreich, im Département Yonne in Burgund, kann man beobachten, wie die Burg Guédelon entsteht - mit den Mitteln des 13. Jahrhunderts. Keine Bagger, keine Presslufthämmer, keine Betonmischer. Auf einer mittelalterlichen Baustelle ohne moderne Maschinen müssen viele Menschen Hand anlegen.

Die Besucher können zuschauen, wie die verschiedenen Handwerker arbeiten: Steine werden aus dem Steinbruch gebrochen und anschließend von Steinmetzen in die richtige Form geklopft. Holzfäller roden den Wald und versorgen die Baustelle mit Holz. Man glaubt kaum, wie viel Holz in einer steinernen Burg steckt. Zimmerleute und Schreiner sägen Balken für Fußböden, Dachgebälk und Gerüste, bauen Holzmodelle für Bögen und Gewölbe. Als Bindematerial für Baugerüste und zum Heben von Lasten braucht man Seile. Also gibt es auch eine eigene Seilerei. Der Korbmacher stellt die Körbe her, mit denen Steine, Sand und Erde transportiert werden. Im Kalkbecken wird aus Kalk und Sand der Mörtel angerührt, mit dem die Maurer dann Stein für Stein drei Meter dicke, solide Mauern errichten. So viele Handwerker brauchen auch viele Werkzeuge: Hämmer, Meißel, Brecheisen, Sägen, Bohrer, Maurerkellen. All das stellt der Schmied her. Gut wenn man Französisch kann, denn die Handwerker unterbrechen gerne ihre Arbeit und erklären genau, was sie tun.

Zum Handwerkerdorf gehört auch ein Tiergehege. Schweine, Ziegen, Schafe, Enten, Hühner und Gänse dienen den Menschen nicht nur als Nahrung, sondern liefern auch Wolle, Felle, Fett für die Seile und Federn zum Schreiben. Nicht zu vergessen Dagobert und Idole, die beiden riesigen, fast 900 Kilo schweren Pferde, die den Transport von schweren Lasten auf der Baustelle erledigen.

Eine der wichtigsten Aufgaben in Guédelon hat der Baumeister, der Architekt. Er muss einen Plan entwerfen und alles genau berechnen, damit die Burg nicht gleich wieder einstürzt. Und das ganz ohne Computer und Taschenrechner. Er hat nicht mal ein Geodreieck, das gab es im 13. Jahrhundert nicht.

Es gab auch noch kein Metermaß. Gemessen wurde mit Maßen, die vom menschlichen Körper abgeleitet waren: Daumen, Spanne, Elle und Fuß. Füße sind natürlich unter- schiedlich groß und Arme verschieden lang. Man kann sich leicht vorstellen, was für eine Burg dabei herauskommen würde, wenn jeder Handwerker mit den eigenen Füßen messen würde. Deshalb muss auf der ganzen Baustelle mit derselben Messlatte gemessen werden, mit der Schuhgröße des Baumeisters.

Im Mittelalter wurde eine Burg in drei bis fünf Jahren gebaut. Heute lässt man sich mehr Zeit. Begonnen wurde 1997, in diesem Jahr soll der Wohnturm fertig gestellt werden. Er war schon im Mittelalter der Teil der Burg, der am schnellsten aufgebaut wurde. Während der Bauzeit war nämlich die Gefahr von Überfällen am größten. Vom Turm aus können Bogenschützen die Baustelle gegen Angreifer verteidigen. Die Arbeiten in Guédelon kann man noch lange besichtigen. Fertig wird die Burg voraussichtlich im Jahr 2023, nach 26 Jahren Bauzeit.

Rainer Belledin

Informationen findet ihr im Internet unter http://www.guedelon.com

Mehr Fotos unter http://www.badische-zeitung.de/fotos

Ressort: Zisch

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