Neu im Kino
"Aufbruch zum Mond": Ein amerikanischer Held
Damien Chazelle verfilmte James R. Hansens Biografie "Aufbruch zum Mond". Zuzu Chazelles Oscars für "La La Land" könnten weitere dazu kommen.
Di, 6. Nov 2018, 19:30 Uhr
Kino
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Nachdem die Sowjets seit 1957 in der Raumfahrt einen Erfolg nach dem anderen feiern konnten, prognostizierte US-Präsident John F. Kennedy 1961 in fast aberwitziger Kühnheit, sein Land werde noch vor Ablauf des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und sicher wieder zurück bringen. Im Vorfeld zum 50. Jahrestag des geglückten Unterfangens kommt jetzt Damien Chazelles Drama "Aufbruch zum Mond" in die Kinos.
Aber wer glaubt, der Regisseur feiere die amerikanische Großtat in triumphalistischer Manier, irrt sich gewaltig – sein Film zeigt nicht einmal das Aufpflanzen der US-Flagge auf dem Mondboden. Der erste Spielfilm über den sensationellsten Beitrag der USA zur Weltgeschichte unterschlägt das ikonische Beweisbild: Kein Wunder, dass "Great America"-Präsident Trump beleidigt poltert, dieses Machwerk werde er sich nie anschauen. Dabei sähe er da einen uramerikanischen Helden und echt amerikanische Tugenden.
"Aufbruch zum Mond" – im Original "First Man" nach dem gleichnamigen Buch von James R. Hanson, der einzigen autorisierten Armstrong-Biografie – erzählt vom steinigen Weg zum Erfolg, vom Sterben in der Raumkapsel und von einem Mann, der zum Pionier aus verlorenem Lebensglück wird. Neil Armstrong (Ryan Gosling) muss zusehen, wie seine Tochter mit nicht einmal drei Jahren an einem Gehirntumor stirbt; er hat auch noch einen Sohn, ein zweiter wird kommen, sein Herz aber scheint gebrochen.
Nur für die Raumfahrt schlägt es noch, wie sehr, wie wild, wissen wir nicht, Ausnahmeschauspieler Gosling ist ja ein Meister der Stoik, bei dem hinter jedem Zucken des Mundwinkels emotionale Eruptionen zu vermuten sind. Beim Tod der Tochter weint er bittere Tränen, die Mondmission aber nimmt er vielleicht nur aus Pflichtgefühl an – oder, wie eine Szene am Ende nahelegt, weil er dem kleinen Mädchen etwas versprochen hat? Drehbuchautor Josh Singer ("Spotlight", "Die Verlegerin") zeigt Armstrong als stillen, besonnenen, bescheidenen Menschen: nicht gerade der Teufelskerl im All, als den man ihn vielleicht gerne sähe.
einsam, wortkarg, furchtlos
In der Luft dagegen ist er souverän. Da braucht ein Mann sich nicht zu erklären, hier kann er tun, was getan werden muss. Und wer könnte das besser als er, der brillante Techniker, der in jeder Krise den kühlen Kopf bewahrt? Die erste Szene zeigt ihn als Testpiloten einer X-15: Der bis zu 7000 Stundenkilometer schnelle Vogel stürzt im rasenden Trudel beinahe ab, das Metall brüllt und stöhnt wie ein wildes Tier – und dem Zuschauer, der quasi mit im Cockpit sitzt und ordentlich durchgeschüttelt wird, schwinden schier die Sinne. Das "How does it feel?" scheint ohnehin Grundprinzip dieses Films: Strapazen und Ängste spürbar zu machen, die Rückschläge, die Gefahren, die Trauer über den Tod von Weggefährten. Und die Nöte eines einsamen, wortkargen Mannes, der wohl nur deshalb so furchtlos ist, weil er nichts mehr zu verlieren hat.
Damian Chazelle, der 1985 geborene amerikanisch-französische Regisseur, holte mit nur zwei Filmen, "Whiplash" (2014) und "La La Land" (2016), sensationelle neun Oscars – jetzt könnten weitere dazukommen. Vielleicht für das Drehbuch, den Hauptdarsteller, die Tonspur, die zwischen quälend wildem Lärm und mystischer Stille so suggestiv switcht. Vielleicht für Komponist Justin Hurwitz oder Kameramann Linus Sandgren (beide erhielten bereits für "La La Land" einen Oscar). Überhaupt die Bilder: Großteils mit 70mm-Imax-Kameras gedreht, verströmen sie kunstlichtfreie Authentizität, magische Klarheit, majestätische Pracht. Und zeigen zusammen mit den Darstellern ein scheinbar sattsam bekanntes Ereignis in ganz neuem Licht.
"Aufbruch zum Mond" ist ein spannendes zeitgeschichtliches Drama, das ohne jede Verklärung den Hut zieht vor jenem Mann, der später zum All-American-Hero stilisiert wurde. Ja, auch bei Chazelle und Gosling ist er durchaus ein Held. Einer, der sich von Widrigkeiten nicht aufhalten lässt. Einer, der mutig ist und beherzt. Aber kein eitel auftrumpfender, eher einer vom Schlage des Cowboys, jenes Prototyps des amerikanischen Helden.
Neil Armstrong hat seinem Land einen unglaublichen Prestigegewinn verschafft – "America First" brüllte er dabei nicht. Den unsterblichen Satz, als er seinen Fuß auf den Mondboden setzte, dieser kleine Schritt für einen Menschen bedeute einen großen Sprung für die Menschheit, würde der derzeitige Präsident vermutlich anders formulieren. Dabei könnten die USA sich doch keine größeren Meriten erwerben denn als Vordenker eines "Mankind First".
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