Zischup-Interview
"Auch wir sind durch unser Konsumverhalten Schuld"
Die Textilindustrie in Bangladesch hat einen schlechten Ruf. Darüber sprach Nicklas Scheffler der Klasse 8b des GHSE mit Gregor Falk, Professor für Physische Geografie und Didaktik.
Nicklas Scheffler, Klasse 8b, Gewerbliche und Hauswirtschaftlich-Sozialpflegerische Schulen (Emmendingen)
Di, 30. Jun 2020, 13:29 Uhr
Schülertexte
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Zischup: Gibt es in den Textilfabriken beziehungsweise generell Kinderarbeit?
Falk: Ich selbst habe in den Textilfabriken keine Kinderarbeit gesehen. Doch das liegt vielleicht daran, dass die Kluft zwischen dem, was man als Besucher vorgeführt bekommt, und der Realität sehr groß ist. Denn die Menschen vor Ort wollen Besuchern natürlich immer nur das Allerbeste zeigen. Wenn man im Stadtgebiet unterwegs ist, dann sieht man allerdings, dass dort sehr viele Kinder arbeiten oder auch professionell organisiert betteln. Daneben gibt es Kinder, die in den Ziegeleien am Stadtrand arbeiten oder in Booten sitzen und Plastikmüll einsammeln, um ihn anschließend billig zu verkaufen.
Zischup: Könnte man sagen, dass die großen Modeunternehmen die TextilarbeiterInnen ausbeuten?
Falk: Die Textilindustrie macht sich die Lage der Menschen zunutze. Es ist legitim, dass Unternehmen den maximalen Profit generieren wollen. Aber die Art und Weise, wie die Löhne niedrig gehalten werden, liegt in erster Linie in der Hand des Konsumenten. Wir könnten zwar sagen, die Textilunternehmen sind schuldig, aber nein, auch wir sind durch unser Konsumverhalten Schuld daran. Wir alle kennen ja den Satz "Geiz ist geil". Diese "Billig-Billig-Denke", die in unseren Köpfen herrscht, ist eigentlich das, was den Druck aufbaut und die Ausbeutungsstrukturen schafft. Die Textilindustrie ist im Grunde nur ein Werkzeug, genauso wie in vielen anderen Bereichen auch, wo wir unseren Wohlstand auf dem Rücken anderer aufbauen. Man verlagert zum Beispiel die "Schmuddelindustrien" einfach in Entwicklungsländer. Was man vielleicht pauschal als globale Disparität (= Ungleichheit) bezeichnen könnte, sind nach wie vor Abhängigkeitsstrukturen, die an den Kolonialismus erinnern. Das Gesamtsystem ist im Grunde genommen dafür verantwortlich und letztlich bestimmen wir durch unser Konsumverhalten und durch unser Handeln, wie sich die Situation in den Textilfabriken entwickelt.
Zischup: Wie sehen Sie die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie?
Falk: Die Arbeitsbedingungen schienen auf den ersten Blick ganz gut. Die Arbeiterinnen und Arbeiter trugen alle einen Mundschutz. Es wurde darauf hingewiesen, dass es einen Arzt gibt, und es gab offen zugängliche Fluchttüren. Allerdings hat mich irritiert, dass es zumindest im offiziellen Rahmen sehr schwierig war, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern ins Gespräch zu kommen, um irgendwelche Informationen zu erhalten. Das deutete darauf hin, dass eben nicht alles ganz so unproblematisch ist. Wenn man in den Slums im privaten Kontext unterwegs ist und auf der Straße mit den Leuten redet, erfährt man, dass die Arbeitsbedingungen in einigen Fabriken nicht mit unseren vergleichbar und zum Teil eben katastrophal sind.
Zischup: Würden Sie in den Arbeitsbedingungen bereits Menschenrechtsverletzungen sehen?
Falk: Ja, schon allein wegen den Arbeitszeiten, die weit über dem internationalen Durchschnitt liegen. Denn durch die langen Arbeitszeiten wird den Menschen jedwede Teilhabe am sozialen Miteinander unmöglich gemacht. Andererseits verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Unternehmen immerhin etwas.
Zischup: Hat die Textilindustrie ökologische Auswirkungen auf die Umwelt vor Ort?
Falk: In mehrerlei Hinsicht ja, es ist ein schmutziges Geschäft. Denn die Textilindustrie lässt die hoch toxischen Substanzen, mit denen gefärbt wird, in die Flüsse leiten. Auch in den Gerbereien, in denen die Lederprodukte hergestellt werden, werden die Gerbflüssigkeiten, die sehr giftig sind, teilweise ungeklärt in die Flüsse gelassen. Diese Gewässer haben eigentlich keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einem Fluss, sondern eher mit einer schmierigen, dunkelbraunen bis schwarzen Kloake. Da lebt kein Fisch mehr, da lebt gar nichts mehr. Es ist eine ökologische Katastrophe.
Zischup: Was können wir tun?
Falk: Weg von der Wegwerfmentalität, auf Zertifizierungen achten und das Konsumverhalten entsprechend verändern. Das ist natürlich auch immer eine Frage des Geldbeutels. Aber Dinge nicht gleich wegwerfen, das kann jeder. So kann man beispielsweise ein altes T-Shirt auch noch als Putzlappen verwenden. Wir müssen auch vorsichtig sein, eurozentristischen Perspektiven zu kopieren und zu sagen ihr müsst oder ihr sollt. Denn das ist der falsche Ansatz. Wir haben nicht das Recht, jemanden für irgendetwas zu verurteilen, was er an einer anderen Stelle der Erde tut. Wir können die moralischen Standards vorleben und sagen, dass wir nur die Produkte akzeptieren, die fair gefertigt wurden, oder wir kaufen nur, wenn faire Rahmenbedingungen eingehalten werden.
Zischup: Was muss sich vor Ort ändern?
Falk: Die Stimme der Menschen vor Ort muss ein viel größeres Gewicht bekommen. Gleichzeitig müssen die gewerkschaftlichen Strukturen und die Arbeitnehmerinnen- und Arbeiterrechte gerade im Textilbereich gestärkt werden. Bildung ist dabei von herausragender Bedeutung.
Zischup: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Interview und weiterhin alles Gute für Sie!
Kommentare
Kommentarbereich ist geschlossen.