Auch die eigene Identität ist nur eine weitere Rolle
ENSEMBLEKOMÖDIE: In "La Vérité – Leben und lügen lassen" inszeniert Hirokazu Kore-eda eine großartige Catherine Deneuve.
Manfred Riepe
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Auf den zweiten Blick allerdings entfaltet Kore-eda eine hypnotische Wirkung. Leinwandgöttinnen, so das beiläufig angestimmte Grundthema, haben im Vor- und Nachnamen dasselbe Initial: Anouk Aimée, Danielle Darrieux, Greta Garbo – sind sie nicht alle das, was die Feministin Laura Mulvey einst als passive Objekte männlicher Blicke bezeichnete? Kore-eda bestätigt diese populäre These. Doch er stellt sie zugleich vom Kopf auf die Füße – in Gestalt seiner schillernden Hauptfigur, die alles andere als ein willenloses Objekt männlicher Blicke ist.
Catherine Deneuve gibt eine mehr als nur launische Diva. Ihre Schrullen kultiviert sie mit dem Wissen, dass jeder ihrer Ticks ein Kunstwerk ist, inszeniert für die Leinwand des Lebens. Eine Autobiografie? Für Fabienne ist auch das vermeintliche Privatleben nur eine Rolle. Der Film verknüpft die im Titel gestellte Problematik von Wahrheit und Fiktion mit der Frage nach der Schauspielerei als Handwerk.
Fabienne, die ausdauernd raucht und trinkt, saugt alle um sich herum aus wie ein Vampir. Ihr Liebhaber, ihr Exmann, ihr Sekretär, selbst Lumirs Ehemann Hank (Ethan Hawke): All diese Männer, mit denen sie sich in ihrer stilvoll verwitterten Villa umgibt, verhalten sich eher wie Frauen. Das heißt: Sie werden dazu genötigt, Gefühle zu entblößen, die Fabienne absorbiert, um die "Wahrheit" darstellen zu können.
Lumir, zurückhaltend gespielt von Juliette Binoche, hat ihre Schauspielkarriere in den Sand gesetzt und wird entsprechend von der Monster-Mama verachtet. Ihr Kampf um die Liebe der selbstsüchtigen Virtuosin erinnert an Ingmar Bergmans "Herbstsonate". Doch die seelischen Abgründe der Tochter lässt Kore-eda nur in gedämpften Moll-Akkorden anklingen. So begreift Lumir allmählich, wie sie als Drehbuchautorin ihre Mutter mit deren Waffen schlagen kann.
Was in der Nacherzählung wie eine verkopfte Metafiktion anmutet, überzeugt als unaufgeregte Mischung aus (Familien-) Drama und märchenhafter Komödie. Der japanische Regisseur, der die Regie am Set mit Dolmetscher führte, trifft in seinem Kammerspiel den Tonfall eines typischen französischen Films. Die entspannte Feier alltäglicher Banalität ist eine unwiderstehliche Hommage an die sphinxhafte Deneuve, die lustvoll mit ihrem Image spielt und mit jeder noch so beiläufigen Geste ein Universum doppelbödiger Anspielungen eröffnet.