Kino
Arthouse-Kinos sehen sich bedroht
Die Kinobilanz des Jahres 2022 zeigt Einbrüche von 33 Prozent zu Vor-Corona-Zeiten. Besonders stark betroffen sind sogenannte Arthouse-Kinos mit anspruchsvolleren Filmen.
René Zipperlen & KNA
Di, 3. Jan 2023, 19:01 Uhr
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Insgesamt sind die Besucherzahlen 2022 im Vorjahresvergleich nach dem Ende der Lockdowns zwar deutlich gestiegen, sie liegen aber immer noch beängstigende 33 Prozent unter dem Vor-Corona-Jahr 2019. Insgesamt 73 Millionen Kinogänger entsprechen 0,85 verkauften Kinokarten pro Kopf und Jahr – in Frankreich sind es mit 2,07 mehr als doppelt so viele. Und nach einer Umfrage des Branchenverbands HDF Kino erwarten 75 Prozent der 600 Mitgliedsbetriebe, dass auch 2023 deutlich unter dem Niveau von vor der Pandemie bleibt.
Vor allem älteres Publikum kehrt nur sehr zögerlich in die Kinos zurück. Das spüren Betreiber landauf, landab. Etwa Joachim Junghans, der das Kino Center in Kehl betreibt. Doch gerade die ältere Generation bevorzuge eher anspruchsvollere Filme. "Die Arthouse-Filme sind mehr betroffen als die klassischen Unterhaltungsfilme." Die Folgen der Coronapandemie verschärfen so die Krise in den Arthouse-Kinos mit ihren meist schmalen Gewinnspannen. Sie haben auch bundesweit einen um zehn Prozent stärkeren Rückgang erlitten als der Gesamtkinomarkt, sagt Christian Bräuer, Vorsitzender der AG Kino, die 350 Arthouse-Spielstätten vertritt. Zugleich schrumpft das Angebot an Leinwänden: Nach den für ihr Programm ausgezeichneten Löwen-Lichtspielen in Kenzingen schloss im Sommer das Union in Lörrach – und wie am Montagabend bekannt wurde, soll Ende Februar Schluss sein für die Kinosäle im Freiburger Friedrichsbau.
Bräuer ist in "sehr großer Sorge" und sieht die Szene "vor massiven Herausforderungen". Bis auf den Cannes- und "Europäischen Filmpreis"-Gewinner "Triangle of Sadness" von Ruben Östlund, den in Deutschland bislang rund 400.000 Zuschauer gesehen haben, hatten es 2022 viele Qualitätsfilme schwer. Etwa Hans-Christian Schmids "Wir sind dann wohl die Angehörigen", über die Entführung von Jan Philipp Reemtsma aus Sicht seines Sohnes (BZ vom 1.11.). Der Film fand nur etwa 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch für Andreas Dresens humorvolle Aufarbeitung des Justizskandals um Murat Kurnaz in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" waren die Zahlen "viel zu schlecht", so Bräuer. "Und das war noch einer der besten Filme".
Das Interesse beim Publikum an qualitätsvollen Filmen sei allerdings weiter vorhanden, das zeigten auch die Zahlen der Streaming-Anbieter. Die Rückgänge seien eine Mischung aus Verhaltensveränderung, Geldsorgen und Sonderphänomen wie der Fußball-WM, die ausgerechnet im Spätherbst den Kinos Konkurrenz machten, als die Besucherzahlen gerade wieder anstiegen.
Dazu kommen Veränderungen im Filmmarkt. "Es gab kein Überangebot bei Arthouse-Filmen für Kinos, weil vor allem in den USA weniger produziert wurde als früher", wie Verbandschef Bräuer sagt. Oder direkt für Streaming-Plattformen, sodass die Filme gar nicht mehr die Leinwand erreichen. Für Bräuer führt das zu einem Qualitätsproblem im Angebot – und schon früher hatte er bemängelt, dass die Filmförderung zu wenige Produktionen unterstütze, die zugleich hohe Qualität böten als auch Publikum erreichten.
Nun blickt die Branche mit großen Sorgen auf 2023. Der Arthouse-Bereich rechnet erneut damit, 20 Prozent unter den Zahlen von 2019 zu landen. Zugleich zitiert Bräuer eine neue Analyse für größere Programmkinos: Deren Energiekosten stiegen gleichzeitig um 70 Prozent, die Personalkosten um 20 und sonstige Posten um 10 Prozent. Wenn sich die prognostizierte Publikumsentwicklung bewahrheite, so Bräuer, seien 50 bis 65 Prozent der Kinos gefährdet.
Mehr dazu:
- Kommentar: Die Kinostadt Freiburg wird ärmer werden
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