Weltall
Antenne an Raumstation soll Ziegenherden im Blick behalten
An der Raumstation ISS soll eine Außenantenne montiert werden. Forscher erhoffen sich davon auch Aufschlüsse über das Verhalten von Tieren bei Naturkatastrophen
dpa
Do, 9. Aug 2018, 20:30 Uhr
Panorama
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RADOLFZELL/MOSKAU (dpa). Wenn zwei Kosmonauten am Mittwochabend die Internationale Raumstation ISS verlassen, werden deutsche Forscher vom Moskauer Kontrollzentrum aus jede Bewegung gespannt verfolgen. In einem siebenstündigen Außeneinsatz wollen Oleg Artemjew und Sergej Prokopjew einen Mast samt Antenne an die Außenhülle des russischen ISS-Moduls montieren. Die Anlage ist das Herzstück von Icarus – einem Mammutprojekt zur Tierbeobachtung, das nach langer Vorbereitung nun an den Start rückt.
Schon lange gibt es Berichte, dass Tiere vor solchen Ereignissen unruhig werden – etwa Ziegen sich am Ätna vor Eruptionen auffällig bewegen. Diesen vermeintlichen siebten Sinn wollen Forscher mithilfe von Icarus nutzen. "Das System erlaubt uns nicht nur zu beobachten, wo ein Tier ist, sondern auch, was es gerade tut", erläutert Wikelski. "Wir könnten ein globales System intelligenter Sensoren einsetzen, um die Welt zu beobachten." Aus der Schwarmintelligenz von Tieren könne der Mensch grundlegend neue Erkenntnisse gewinnen.
Im Rahmen von Icarus sind viele solche Untersuchungen geplant. So wollen Forscher etwa Papageien in Nicaragua in der Nähe eines Vulkans beobachten, Ziegen im Erdstoß-geplagten Mittelitalien mit Sendern ausstatten, Bären als Erdbebenwächter auf der ostrussischen Halbinsel Kamtschatka nutzen. "Wir fangen jetzt damit an, Tiere an Orten zu besendern, wo Naturkatastrophen auftreten", sagt Icarus-Koordinatorin Uschi Müller.
Zunächst sind 1000 Sender geplant, die Zahl soll rasch steigen. "Letztlich wollen wir 100 000 tierische Spürhunde für die Menschheit", sagt Wikelski. "Wenn wir diese Informationen kombinieren, erhalten wir ein völlig neues Verständnis vom Leben auf diesem Planeten."
Mit dem für Anfang 2019 geplanten Betrieb enden fast zwei Jahrzehnte Vorbereitung. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte Wikelski die Idee bei der Nasa vorgestellt – und war abgeblitzt, die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos war offener. Als Namen wählte Wikelski Icarus – als Kürzel für International Cooperation for Animal Research Using Space.
Beteiligt sind neben Roskosmos vor allem die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Universität Konstanz. Die deutschen Partner finanzieren die Entwicklung der Technik, die Russen kümmern sich um den Transport und die Installation im All.
Entscheidend für die Forschung sind eigens entwickelte Mini-Sender, die sogar größeren Singvögeln wie etwa Amseln rucksackartig auf den Rücken geschnallt werden können. Sie wiegen etwa fünf Gramm, sind zwei Kubikzentimeter groß, haben eine 15 Zentimeter lange Drahtantenne und eine Speicherleistung von 500 Megabyte. Neben einer Solarzelle und einer Batterie enthalten sie sechs Sensoren, sagt Walter Naumann, Geschäftsführer der Firma I-GOS, die Sender mitentwickelt hat. Sie übermitteln nicht nur die Position des Tiers, sondern auch seine Beschleunigung, die Ausrichtung zum Magnetfeld der Erde, die Umgebungstemperatur, Luftdruck und Feuchtigkeit.
Die ISS umkreist die Erde 16 Mal pro Tag. Mit der Antenne liest sie auf der Oberfläche einen etwa 800 Kilometer breiten Streifen aus. Durch ihre Flugbahn erfasst sie ungefähr die Fläche zwischen Kopenhagen und Moskau im Norden und Feuerland im Süden. Nähert sie sich einem Sender, sendet der ein kleines Datenpaket hoch.
Das Icarus-System auf der ISS kann alle drei Sekunden Signale von etwa 120 Sendern empfangen. Es leitet die Informationen weiter an die Bodenstation, von dort gehen sie an die jeweiligen Forscherteams. Die Lebensdauer der etwa 500 Euro teuren Sender schätzt Naumann auf zwei bis drei Jahre. Das Verhalten der Tiere ist dennoch schwer zu interpretieren. Wird eine Ziegenherde am Ätna unruhig, weil ein Ausbruch bevorsteht oder weil ein Wolf in der Nähe ist? "Die Interpretation vieler Daten müssen wir noch lernen", sagt Naumann.
Dass auch die Medizin von dem Projekt profitieren kann, soll Wikelskis eigene Forschung zeigen. Der Biologe will in Afrika Flughunde besendern, die in riesigen Schwärmen über den Kontinent ziehen. Die Tiere übertragen zwar nach Meinung vieler Forscher nicht das Ebola-Virus, kommen aber mit dem Erreger in Kontakt und tragen Antikörper. Im Falle einer Ebola-Epidemie könnte man, so die Hoffnung, anhand der Wanderungsbewegungen der Tiere ermitteln, wo der jeweilige Erreger herstammt – und so bislang unbekannte Ebola-Reservoire aufspüren.
Forscher weltweit interessieren sich für die Möglichkeiten, die Icarus bietet. "Wir haben Tausende Anfragen", sagt Müller. "Aber zunächst haben deutsche und russische Projekte Priorität." Welche davon zum Zug kommen, darüber soll ein international besetztes Ethik-Komitee entscheiden, das derzeit aufgebaut wird.