Das Abitur naht. Teil 1
ANFANG VOM ENDE: Nach dem Abi kommt später
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Wie zielgenau diese Krankenkassenangestellte getroffen hat! Haargenau das ist, worum meine Gedanken seit Wochen kreisen. Doch je mehr ausufernd lange Stunden ich das Internet nach Zukunftsangeboten durchforste, desto mehr scheine ich in einer hoffnungslosen Informationsflut unterzugehen. Das Gleiche passiert, je mehr Zeitschriften und Bücher über verschiedene Berufsparten ich wälze: Untergang in einer Fülle von Möglichkeiten. Ich würde der wohlklingenden Stimme gerne erzählen, dass ich von einer Weltreise träume. Ich will andere Kulturen und Sprachen kennen lernen, andere Menschen und Landschaften. Ich könnte mir auch vorstellen, Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden und einen Krieg zu verhindern. Und ich fände es unvergleichlich toll, im Theater Karten abreißen zu dürfen, um mir dann kostenlos alle Aufführungen anzusehen.
Nach dem Abitur - das ist augenscheinlich nah und doch ist der August Äonen entfernt. Kann die wohlklingende Stimme nachvollziehen, wie ich mich gerade fühle? Dass ich kaum durchblicke bei der Fülle der Möglichkeiten? Dass ich aber auch Angst habe zu versagen? Das Falsche zu wählen? Kennt sie die Panik davor, keinen Studienplatz zu bekommen? Oder das ambivalente Gefühl beim Gedanken daran, das Elternhaus - die Oase der Gutmütigkeit in einer rauen Welt - zu verlassen, den Schiss, an den simpelsten Aufgaben des Alltags bereits zu scheitern? Kann sie sich vorstellen, dass ich dann stolz werde, mit meiner Entscheidung meinem Leben eine erste selbst gewählte Richtung gegeben zu haben? Weiß sie, dass ich mich trotz allem jetzt schon darauf freue, neue Leute und andere Orte kennen zu lernen?
"Hallo? Sind Sie noch am Apparat?" reißt mich die wohlklingende Stimme etwas ungehalten aus meinen Gedanken. "Ich, äh, ich weiß noch nicht so genau . . .", stottere ich und fühle mich als hätte ich soeben bei der 100-Euro-Frage in der Wer-wird-Millionär-Show versagt.
Eva Müller
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