"Am Anfang war es sehr ungewohnt"
ZISCH-INTERVIEW mit dem Berufsschullehrer Andreas Reichert, der auch im Gefängnis in Freiburg unterrichtet.
Elena Küchlin und Amelie Laumann, Klasse 4b, Tunibergschule (Freiburg)
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Andreas Reichert ist Lehrer an der Gewerbeschule Lörrach und unterrichtet zusätzlich an einem Tag in der Woche Gefangene in der JVA (Justizvollzugsanstalt) Freiburg. Er unterrichtet Berufstheorie für Fleischer. Die Zisch-Reporterinnen Elena Küchlin und Amelie Laumann aus der Klasse 4b der Tunibergschule in Freiburg wollten im Interview von ihm wissen, wie der Unterricht im Gefängnis so abläuft.
Reichert: Ich unterrichte seit mittlerweile fünf Jahren Gefangene in der JVA und ich bin da eher zufällig drangekommen, als mein Vorgänger in den Ruhestand gegangen ist. Da ich in Freiburg wohne, hat der Kollege an mich gedacht und mich gefragt. Ich fand das sehr interessant und habe zugesagt.
Zisch: Haben Sie einen Chef oder eine Chefin und wenn ja, ist er oder sie streng?
Reichert: Im Moment ist die Schulleiterstelle vom Bildungszentrum an der JVA nur vorübergehend besetzt. Es gibt aber jemanden, der für die Berufsschulen zuständig ist. Streng ist er nicht, aber er hat die Sache gut im Griff.
Zisch: Mit welchen Gefangenen arbeiten Sie und warum sitzen diejenigen im Gefängnis?
Reichert: Momentan habe ich nur einen Auszubildenden. Zu Beginn waren es zwei, aber einer hat die Ausbildung abgebrochen. Er wollte eine andere Arbeit im Gefängnis machen. Warum sie im Gefängnis sitzen, weiß ich gar nicht, das bekomme ich nicht gesagt. Manchmal erzählen sie es von sich aus. Mein aktueller Schüler hat nichts dazu gesagt.
Zisch: Wie fühlt es sich an, mit Gefangenen zu arbeiten?
Reichert: Am Anfang war es natürlich sehr ungewohnt. Als ich zum ersten Mal in die JVA gegangen bin, wusste ich nicht genau, was mich erwartet. Eine Bekannte, die dort ebenfalls unterrichtet, hat mir im Vorfeld erzählt, dass der Unterricht für die Schüler im Gefängnis etwas Besonderes ist. Für sie ist es eine Flucht aus dem tristen Gefängnisalltag. Ich selbst hatte auch bis jetzt noch nie eine brenzlige Situation.
Zisch: Wie unterscheidet sich der Unterricht zu normalem Unterricht an der Berufsschule?
Reichert: Der Unterschied ist zum einen die Größe der Klasse. Derzeit habe ich dort nur einen Schüler. Zum anderen sind die Schüler häufig schon etwas älter als in der normalen Berufsschule. Mein aktueller Schüler ist zum Beispiel schon über 40 Jahre alt.
Zisch: Wo findet der Unterricht statt? Gibt es zum Beispiel eine spezielle Unterrichtszelle?
Reichert: Es gibt einen so genannten Schultrakt. Das sind ein paar spezielle Klassenzimmer. Sie sind aber sehr nah an den Zellen der Gefangenen dran, man ist also immer in der Nähe der Gefangenen.
Zisch: Sind die Gefangenen im Unterricht gefesselt und haben sie eine spezielle Kleidung an, wie man das aus dem Fernsehen kennt?
Reichert: Die Schüler sind nicht gefesselt und werden auch nicht in den Unterricht gebracht, sondern kommen selbstständig. Die Schüler können sich an den Schultagen komplett frei bewegen innerhalb ihres Korridors. Eine spezielle Kleidung gibt es nicht. Es gibt zwar eine Anstaltskleidung, aber in der Regel laufen die Schüler in Sportsachen rum. Das ist auch so gewünscht.
Zisch: Wie fleißig sind die Gefängnisschüler und schreiben sie gute Noten?
Reichert: Die Schüler sind in meinen Fächern wirklich fleißig. Ich hatte bisher durchweg leistungsstarke Schüler und daher waren die Noten auch immer ganz gut.
Zisch: Was mögen Sie du an Ihrer Arbeit mit Gefangenen am liebsten?
Reichert: Es ist eine sinnvolle Arbeit, da die Gefangenen dadurch während ihrer Zeit im Gefängnis beschäftigt sind und sie gleichzeitig für ihr Leben nach dem Gefängnis vorbereitet werden. Zudem ist die Arbeit spannend und eine Abwechslung zur Arbeit an der Berufsschule.
Zisch: Was mögen Sie du an Ihrer Arbeit gar nicht?
Reichert: Da fällt mir eigentlich groß gar nichts ein. Im Moment gefällt es mir nicht, dass ich wegen Corona nicht vor Ort unterrichten kann. Ich konnte lange Zeit nicht einmal Online-Unterricht machen, sondern nur Aufgaben schicken. Seit ein paar Wochen kann ich die Schüler nun zumindest wieder online sehen, wenn auch immer nur kurz. Wegen Corona ist die Gefängnisleitung natürlich sehr vorsichtig, aber ich hoffe, dass ich bald wieder einmal vor Ort sein darf.
Zisch: Was war Ihr schönster Moment oder Ihre tollste Erfahrung?
Reichert: Der tollste Moment war, als ich von einem Schüler, der seine Ausbildung beendet hatte und sie auch sehr gut bestanden hatte, einen ganz tollen Brief bekommen habe, in dem er sich bei mir für alles bedankt hat. Er wurde dann auch kurz darauf aus dem Gefängnis entlassen. Das war für mich ein wirklich toller Moment.
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