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Ackern am Brett

Der Schweizer Schachspieler Noël Studer ist das größte Schachtalent seiner Heimat / Ein Besuch bei dem Spieler des Schachclubs Dreiländereck im Trainingslager.  

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BASEL/CANNES. Viel Zeit hat Noël Studer nicht. Gerade erst ist der 20-jährige in seinem Einzimmer-Appartement aus dem Bad geschlüpft, den Schweiß des einstündigen Nachmittagslaufs abduschen. "Am Abend steht dann die Nachbereitung auf dem Programm, da schaue ich, ob ich die Züge verstanden habe, damit das Fundament für den nächsten Tag steht", sagt Studer – der junge Schachprofi hat eine ungewöhnlich reflektierte Art.

Die gegenwärtige Verschnaufpause ist ein seltener Moment der Ruhe in dieser turbulenten Woche. Das südfranzösische Cannes ist besonders schön zu dieser Jahreszeit. Selbst das wechselhafte April-Wetter nimmt der Filmstadt am Meer nicht ihren Charme. In seiner Mietwohnung wird momentan aber nicht dem Dolce Vita gefrönt, sondern täglich mehrere Stunden gebrütet. "Ich bin im Trainingslager bei meinem neuen Trainer", erklärt der gebürtige Berner durch die dicken Ränder seiner Brille, "das machen wir fünfmal im Jahr."

Sein neuer Schachlehrer ist eine Legende. Der Ukrainer Josif Dawidowitsch Dorfmann ist ehemaliger UdSSR-Meister. Als der heute 65-jährige 1990 nach Frankreich übersiedelte, wurde er prompt französischer Einzelmeister, später wiederholt Vizemeister. Weltweit bekannt wurde Dorfmann als er Weltmeister Garri Kasparow bei den sagenumwobenen Finalkämpfen gegen Anatoli Karpow betreute. "Er ist ein harter und direkter Trainer", findet Studer und weiß: "Er hat mein Spiel schon jetzt verändert." Bis Sonntag übt er in Cannes zweimal täglich drei Stunden mit Dorfmann, dazwischen stehen Kraft- und Ausdauereinheiten auf dem Programm, abends die Nachbereitung. Die Arbeit findet am Laptop und am Brett statt. Strategische Prinzipien und Eröffnungen stehen auf dem Plan: "Wir studieren meine alten Partien und betrachten Züge der Weltbesten."

Seit vergangenem Jahr trainiert Studer unter Dorfmann. Die Erfolge können sich sehen lassen. Jüngst hat der Jungspund die sogenannte Großmeister-Norm geschafft – als bisher jüngster Schweizer. Überhaupt gibt es nur drei gebürtige Schweizer, die den Großmeister erreicht haben. Die Qualifikation erfolgt über sogenannte Elopunkte: Weltranglistenpunkte, die auf verschiedenen internationalen Turnieren zu gewinnen sind. 2500 Punkte benötigt man für die magische Marke, die Studer bei einem Turnier in Karlsruhe vor zwei Wochen überschritten hat. "Durch Dorfmann spiele ich angriffslustiger."

Wie aber kommt ein Schweizer Talent zu einem Trainer wie Dorfmann? International ist Studer derzeit schließlich die Nummer 901, Spitzenspieler Kasparow schaffte den Großmeister bereits mit 13 Jahren. "Dazu muss ich weiter ausholen", sagt Studer, der auch dem Vokabular nach das Stereotyp eines Schachspielers erfüllt: wohl ausgedrückt und zurückhaltend. Mit sechs Jahren brachte der Vater dem Berner Talent das Schachspiel bei. Mit neun Jahren absolvierte Studer seinen ersten Schachkurs, mit elf Jahren gewann er überraschend die Schweizer U-12-Meisterschaft und qualifizierte sich dadurch für die U-12-Europameisterschaft. Ein Jahr später wechselte er an ein Sportgymnasium.

"Der Turning point war aber erst 2013", sagt Studer, "bei der U-18-EM habe ich mit dem 80. Platz ein furchtbares Ergebnis geholt." Zwei Monate Schaffenspause und Zweifel an der sportlichen Zukunft plagten den damals 16-Jährigen Tag und Nacht. Erst 2014 begann er wieder mit dem Schach. Und meldete sich per Paukenschlag zurück. Bei der EM wurde er spektakulär Fünfter. "Da habe ich gemerkt, dass ich weniger verkrampft sondern mit Freude spielen muss." Nach seiner Matura 2015 fiel die Entscheidung, Schachprofi zu werden. Über den Dreiländereck-Teamkollegen Nicolas Grandaman erhielt Studer den Kontakt zu Dorfmann. "Der hat sich 200 Partien von mir angeschaut und danach zugesagt", berichtet Studer.

Derzeit wartet Studer auf die Zusagen von zwei Stiftungen, die ihm das Profileben ermöglichen sollen. Unterstützt wird er von seinem Schweizer Erstligaclub Zürich und dem deutschen Oberliga-Klub Dreiländereck. "Es ist aber offen kommuniziert, dass ich wechsle, wenn mir ein gutes Erstligaangebot vorliegt."

Mit dem neuen Trainer Dorfmann sind auch die Ziele ambitionierter geworden. "Das Endziel ist in die Top 50 der Welt zu kommen", verrät Studer, "dafür gibt es aber kein Zeitlimit." Dieses Jahr soll es noch zur Top 500 reichen, in drei Jahren will er in die Top 100 vordringen: "Das sind hohe Ziele, die gerade noch realistisch sind." Das alles liegt aber noch in weiter Ferne. Vorerst steht Ackern in Cannes auf dem Programm.
 

Alle Serienbeiträge finden Sie unter: http://mehr.bz/badeninbewegung

Ressort: Schach

Dossier: Baden in Bewegung

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