"99 Prozent der Mädchen können sich vor der Erkrankung schützen"
ZISCHUP-INTERVIEW mit der Psychologin Jennifer Svaldi über Essstörungen und die Bedeutung der Medien auf das Essverhalten junger Menschen.
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Viele Menschen, vor allem Mädchen, leiden unter Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie. Stephanie Klaus, Lea Küstner und Cora Franke, Schülerinnen der Klasse 9b am Rotteck-Gymnasium Freiburg, wollten mehr über Essstörungen erfahren. Hierzu interviewten sie Dr. Jennifer Svaldi, die an der Universität Freiburg in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie arbeitet.
Jennifer Svaldi: Der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung ist zum einen restriktives Essverhalten (Diätverhalten) in Verbindung mit einer stark ausgeprägten Körperunzufriedenheit.
Zischup: Nehmen Medien wie Internet und Fernsehen großen Einfluss auf Erkrankte?
Svaldi: Ja und nein, manchmal wird ja behauptet, dass Sendungen wie "Germanys Next Topmodel" und ähnliches Essstörungen auslösten. Das würde ich auf jeden Fall verneinen. Man muss bedenken, dass 100 Prozent der Mädchen den Medien ausgesetzt sind und nur ein Prozent zum Beispiel an einer Anorexie erkrankt. Das heißt: 99 Prozent der Mädchen können sich selbst vor der Erkrankung schützen. Was ich in den Therapien jedoch bemerkt habe, ist, dass Mädchen und Frauen mit einer Anorexie oder Bulimie häufig solche Sendungen oder Modezeitschriften ansehen und sich dabei mit den abgebildeten Frauen sehr stark vergleichen. Dabei wird gerade in Modezeitschriften, wo Modelbilder zig Mal überarbeitet wurden, ein Frauenbild propagiert wie es in der Normalbevölkerung im Schnitt nicht vorkommt. Dennoch fühlen sich Mädchen mit Essstörung dann häufig beim Anblick dieser Bilder minderwertig, was wiederum zur Aufrechterhaltung ihrer Erkrankung führen kann.
Zischup: Sie sagten bereits, dass Sie Frauen behandeln. Therapieren Sie aber auch Jungen und Männer?
Svaldi: Die meisten der Erkrankten sind Mädchen. Bei Bulimie kommt auf 20 Frauen ein Mann. Bei der Anorexie auf 100 Frauen ein Mann. Die Essanfallsstörung, bei der Betroffene innerhalb kurzer Zeit sehr große Mengen essen ohne im Anschluss zu erbrechen, ist im Geschlechterverhältnis ausgewogen. Aufgrund dieser Ausgewogenheit nehmen wir in unserer derzeitigen Studie, in der wir eine Therapie zum Beenden von Essanfällen anbieten, auch Männer auf.
Zischup: Wie unterscheiden sich die Krankheiten voneinander?
Svaldi: Die Anorexie zeichnet sich dadurch aus, dass die Betroffenen ein extrem niedriges Gewicht haben. Die Betroffenen versuchen, dieses Untergewicht zu halten, indem sie entweder nichts essen, also eine starke Diät halten, oder aber, indem sie das, was sie essen, wieder erbrechen oder versuchen, durch extrem viel Sport wettzumachen. Die Bulimie zeichnet sich dadurch aus, dass die Betroffenen im Normalgewichtbereich sind, und Essanfälle haben, sprich in kurzer Zeit wirklich sehr, sehr viel essen. Und sie versuchen dann, einer drohenden Gewichtszunahme entgegenzuwirken, indem sie erbrechen oder Abführmittel nehmen. Bei der Essanfallstörung haben Betroffene wie bei der Bulimie Essanfälle, sie versuchen diese aber nicht durch eine Diät, Sport oder Erbrechen "wettzumachen". Allen Essstörungen gemeinsam hingegen ist die starke Unzufriedenheit mit der Figur.
Zischup: Gibt es zwischen Bulimie und Magersucht einen großen Unterschied? Welches ist gefährlicher oder häufiger?
Svaldi: Die Essanfallstörung kommt am häufigsten vor, gefolgt von der Bulimie. Am seltensten ist die Anorexie, wobei diese im Vergleich zu den anderen beiden Essstörungen sicherlich die gefährlichste ist, vor allem dann, wenn Betroffene auch erbrechen.
Zischup: Steigt die Zahl der Erkrankten?
Svaldi: Das wird zwar oft gesagt, aber Studien zeigen, dass das nicht so ist. Die Zahl bleibt relativ stabil.
Zischup: Verläuft die Krankheit oft tödlich?
Svaldi: Die Anorexie ist die psychische Erkrankung mit der höchsten Sterberate. Die Sterberate im Rahmen der Anorexie ist höher als bei der Alkoholsucht und der Schizophrenie. Auch bei der Bulimie und der Essanfallstörung ist das Sterberisiko deutlich erhöht.
Zischup: In welchen Altersklassen sind die Erkrankten?
Svaldi: Der Erkrankungsbeginn der Anorexie liegt im Schnitt bei circa 16 Jahren, bei der Bulimie bei etwa 20 Jahren. Essanfälle werden bereits bei Kindern im Alter von acht Jahren berichtet. Im Erwachsenenalter ist der Beginn im Schnitt mit 25 Jahren, dann gibt es noch einen zweiten Erkrankungsgipfel um die 40.
Zischup: Wie werden Betroffene behandelt? An wen können sie sich wenden?
Svaldi: Wir in der Ambulanz arbeiten verhaltenstherapeutisch, das heißt wir unterstützen Betroffene ganz gezielt im Erlernen eines normalen und gesunden Essverhaltens, indem wir beispielsweise auch die Körperunzufriedenheit zu verringern versuchen. Wir bieten im Rahmen unserer Hochschulambulanz der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Freiburg laufend Therapien im Rahmen von Studien an. Derzeit zum Beispiel können Betroffene mit einer Essanfallstörung kostenlos an einer Gruppentherapie teilnehmen.
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