Tourismus

Urlaub auf dem Bauernhof – ein Erfolgsmodell wird 40

Städter im Stall, Kinder bei Kühen: Seit 1976 gibt es in Baden-Württemberg das Tourismus-Konzept Urlaub auf dem Bauernhof. Seither hat sich manches verändert – aber gar nicht mal so viel.  

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Die Kühe, das duftende Heu – Stadtkinder lieben das. Foto: dpa/Ehmann
Der Sesterhof liegt abgelegen zwischen Wald und Wiesen bei Gengenbach in der Ortenau. Die Luft ist klar, eine Brise fächelt durch die butterblumenübersäte Wiese. Am Waldrand zwitschern Vögel. Im Hof steht ein großer alter Walnussbaum, dessen Knospen vom nahen Sommer künden. Kühe muhen im Stall, im Bauerngarten blühen Tulpen. Ein Idyll.

Im Wohnzimmer des mehr als hundert Jahre alten Bauernhauses sitzen zwei Generationen Landfrauen am Esstisch bei Kaffee und Brezeln. Für die 89-jährige Agnes Sester und Tochter Maria Harter, 56, gehören Urlaubsgäste auf dem Hof seit Jahrzehnten zum Alltag. 1960 kamen die ersten Urlauber. Damals wurden sie von den Nachbarn noch kritisch beäugt. Viele Bergarbeiter aus den Zechen im Ruhrgebiet zog es in die südbadische Provinz – der guten Luft wegen.

"Die Bezeichnung Urlaub auf dem Bauernhof ist nicht geschützt. Eine Definition ist daher schwierig." Constanze Bröhmer
"In den 1950er-Jahren hießen sie noch Sommerfrischler", erzählt Constanze Bröhmer, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Urlaub auf dem Bauernhof in Baden-Württemberg, kurz LAG. Für die Gäste aus der Stadt räumten die Bauernkinder ihre Schlafzimmer – und die Bäuerin freute sich über das zusätzliche Haushaltsgeld. "Der Staat erkannte bald das Potenzial des Bauernhofurlaubs", erzählt Bröhmer. "Fortan förderten ihn die Landwirtschaftsämter mit Zuschüssen für Heizung und fließendes Wasser."

Beide Seiten zogen Nutzen aus dem Arrangement: Für die Höfe und die Region waren die Urlauber eine willkommene Einnahmequelle – und die Städter profitierten von der guten Luft, mit einem Quäntchen körperlicher Arbeit im Stall und auf dem Feld, fern von Hektik und Lärm. Das gilt bis heute. Waren es früher eher Leute mit kleinem Geldbeutel, so reiche die Klientel heute von der preisbewussten Familie bis zum Gutverdienenden, sagt Maria Harter.

Auf dem Sesterhof übernachteten die ersten Gäste in den ehemaligen Getreidekammern, die Agnes Sesters Mann zu Gästezimmern umgebaut hatte, erzählt die 89-Jährige. Mit fließendem Wasser – damals ein Luxus. Zu dieser Zeit wurden noch sämtliche Gäste mit Sonderzügen aus dem Ruhrgebiet nach Gengenbach gebracht, auf die Region verteilt und drei Wochen später wieder zurückgebracht. Drei Wochen – mittlerweile eine Seltenheit. "Heute bleiben die Gäste im Schnitt eine Woche", sagt Constanze Bröhmer. Verändert hat sich auch der Komfort. Waren es damals einfache Zimmer, so sind es heute zu 90 Prozent voll ausgestattete Ferienwohnungen.

Anteil treuer Stammkunden ist hoch

Mitte der 1970er-Jahre beschloss man dann, die Organisation des Bauernhofurlaubs zu zentralisieren. Die LAG wurde gegründet und begann mit gezieltem Marketing. "600.000 Flyer wurden gedruckt und in den Ballungszentren im Rhein-Main-Gebiet verteilt", erzählt Constanze Bröhmer. Bestimmte Bedingungen, um ein Urlaubsbauernhof werden zu können – Hasen zum Streicheln oder Kühe zum Füttern – gibt es bis heute nicht. "Die Bezeichnung Urlaub auf dem Bauernhof ist nicht geschützt. Eine Definition ist daher schwierig", sagt Constanze Bröhmer. Heute werden für die Unterkünfte die üblichen Sterne des Tourismusverbands vergeben und dazu Zusatzauszeichnungen – Urlaubsbauern- oder Urlaubswinzerhof –, die bestimmte Kriterien voraussetzen.

Auf dem Sesterhof gerät Maria Harter zwischen zwei Schluck Kaffee ins Schwärmen bei der Erinnerung an die vielen Kinder, die die Urlaubsgäste – bis heute sind es meist Familien – mitbrachten. "Für mich und meine drei Schwestern war das toll", sagt sie begeistert: Sie hatten fast immer Spielgefährten. Überhaupt entstanden einige Freundschaften zu den Gästen aus Hannover, Duisburg oder Berlin, die häufig über Jahre hinweg zu ihnen kamen. "Zu einigen haben wir heute noch Kontakt", sagt Maria Harter.

Gäste werden Teil des Hofalltags

Der hohe Anteil treuer Stammgäste sei typisch für Bauernhofurlauber, bestätigt Constanze Bröhmer. Auch heute noch. "Der Bezug zu den Vermietern ist höher als anderswo." Denn die Gäste werden Teil des Hofalltags und damit auch Teil des Privatlebens der Hofleute.

Einige Bauern haben sich bereits ganz auf den Tourismus spezialisiert. Sie halten bewusst Tiere, um den Gästen etwas bieten zu können. Denn die klassischen Bauernhöfe aus dem Bilderbuch werden immer seltener, sagt Constanze Bröhmer.

"Seit 2014 sind die Gästezahlen auf hohem Niveau stabil." Constanze Bröhmer
Auf dem Sesterhof sind die zahlenden Gäste Teil einer Mischkalkulation: ein bisschen Milchwirtschaft, ein bisschen Schnapsbrennerei, ein bisschen Gästebewirtung. Über die Urlauberzahlen können sich Agnes Sester und ihre Tochter nicht beklagen. Von den Osterferien bis zum Ende der Herbstferien sind ihre Quartiere fast durchgehend belegt.

Gerade wird die frühere Knechtkammer in eine neue Ferienwohnung umgebaut. Und auch die LAG ist zufrieden: "Seit 2014 sind die Gästezahlen auf hohem Niveau stabil", sagt Constanze Bröhmer. Wegen der krisenhaften Lage am Mittelmeer mit seinen Urlaubsländern machen viele Deutsche lieber Urlaub im eigenen Land. Auch die Baden-Württemberger. Die sind hierzulande derzeit die Hauptzielgruppe.

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