Neustart mit Luchs und Esel

In Sasbachwalden will Maria Wruck, Tochter des Unternehmers Max Grundig, 20 Millionen Euro für die Anima Tierwelt ausgeben – der Tourismus erhofft sich Impulse.  

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Die beiden Anima-Geschäftsführerinnen Maria Wruck, geborene Grundig (links) und Davina Schmitz Foto: Anima Tierwelt
Hirsch Felix röhrt nicht, sondern ruht. Im Gehege nebenan wuselt, grunzt und quiekt es, zwei Dutzend Wildschweine, große und ganz kleine, tollen herum. Die beiden Damen am Gatter sind entzückt. Hier auf dem Breitenbrunnen, auf 800 Metern Höhe oberhalb von Sasbachwalden, nicht weit entfernt vom Nationalpark Schwarzwald, wollen Maria Wruck und Davina Schmitz, beide 37 und seit den Kindergartentagen in Baden-Baden ziemlich beste Freundinnen, ihren Traum verwirklichen: die Anima Tierwelt. Auch der Tourismus in dem einst gebeutelten Wein- und Kurort erwartet einen Schub.

Auf einer Fläche von 54 Hektar sollen hier weitläufige Gehege, ein Schaubauernhof, ein Restaurant und ein Seminarzentrum entstehen. Auch ein Institut für tiergestützte Psychotherapie ist geplant, die Esel sind derzeit in Ausbildung auf einer Weide unten im Dorf. Später sollen sie ausgebrannten Managern, Depressiven, Trauma-Patienten oder Autisten helfen. Auch das bestehende, arg in die Jahre gekommene Tiergehege wird es dann nicht mehr geben, Hirsch Felix und seine Gefährtin Susi erhalten ein hübscheres Zuhause. Neue Maßstäbe wolle man setzen bei der verhaltens- und artgerechten Haltung von Wild- und Haustieren, sagt Maria Wruck. Am Wegrand blühen gelber Hahnenfuß und lila Wiesensalbei, man sieht von hier den Sendeturm Hornisgrinde und ein großes Windrad hinter Fichten, Lärchen und Buchen, ab und an durchbricht ein in der Ferne röhrendes Motorrad die Stille.

Die Idee hatte Maria Wruck vor sieben Jahren. 2012 erwarb sie das Areal bei einer Zwangsversteigerung, Mitte April hat das Landratsamt des Ortenaukreises die Zoo-Genehmigung erteilt. Das Areal kann nun umzäunt und mit Bauarbeiten begonnen werden. Zudem ist geregelt, was für Tiere angesiedelt werden und wie man sie hegt und pflegt. Es sind ausschließlich einheimische, unter anderem sieben Luchse, 25 Alpenmurmeltiere, fünf Esel, fünf Wisente, 28 Ziegen und, ja auch das, acht Exemplare des Europäischen Wolfes. 2020 soll Eröffnung sein. "Wir wünschen uns das", sagt Davina Schmitz.

Landrat Frank Scherer sprach, wie man das bei solchen Anlässen und vor allem bei solchen Summen eben tut, von einem "touristischen Leuchtturmprojekt". Schließlich will Maria Wruck 20 Millionen Euro investieren, so viel hat sie an die eigens gegründete Stiftung überwiesen. Sie kann das, sie ist vermögend, sie ist die jüngste Tochter des 1989 in Baden-Baden verstorbenen Nürnberger Elektronikunternehmers Max Grundig. Jener Grundig, der in den 1980er-Jahren aus dem einstigen Offiziergenesungsheim Bühlerhöhe an der Schwarzwaldhochstraße, nur zehn Kilometer vom Breitenbrunnen entfernt, ein Luxushotel machte und aus einem Sanatorium direkt nebenan die Max-Grundig-Klinik. Sie ist inzwischen im Besitz einer Stiftung und auf Innere Medizin und Psychosomatik spezialisiert. Das Hotel wurde schon lange verkauft, hatte mehrere Besitzer – unter anderem SAP-Gründer Dietmar Hopp – und steht seit 2010 leer. Von den hochfliegenden Plänen der derzeitigen Eigentümer, einer Investorengruppe um einen kasachischen Geschäftsmann, redet hier oben keiner mehr. Auch die Firma Grundig, einst Stolz des Wirtschaftswunderdeutschlands, ist krachend insolvent gegangen, ein türkischer Elektronikkonzern produziert nun unter dem Namen.

Nein, sagt Maria Wruck, diese 20 Millionen erwarte sie nicht zurück, darum gehe es ja nicht. "Ich möchte, dass sich der Betrieb selber trägt, dass die Tierwelt kein Zuschussprojekt wird." Sie ist eine ruhige, eine freundliche Frau. Sie hat Psychologie studiert und sich mit Achtsamkeitstherapie beschäftigt, sie war einmal verheiratet, zu Hause sind ein sibirischer Husky aus dem Tierschutz und eine Somalikatze. In den Boulevardmedien ist sie, die reiche Erbin, nicht präsent. Fragen zu ihrem Privatleben findet sie nicht so spannend: "Viel interessanter ist doch unser Projekt hier."

Bei Spargelrisotto und Apfelschorle im Engel an der Sasbachwaldener Hauptstraße im denkmalgeschützten Ortskern erzählt sie von diesem Projekt. Mit am Tisch im Engel – außen Fachwerk und Blumen, innen gute Küche, Tradition seit 1764 – sitzt Sonja Schuchter, seit 2016 Bürgermeisterin des knapp 2500 Einwohner zählenden Dorfes. Ein Glücksfall sei die Anima Tierwelt, sagt sie. Ihr Traum: eine Belebung für den Tourismus entlang der Schwarzwaldhochstraße. Rund 800 000 Euro wird die Gemeinde in die Erschließung des Wassernetzes investieren, mittelfristig soll sich das größtenteils refinanzieren.

Es ist Frühling, Wrucks Geschäftspartnerin Davina Schmitz rettet eine Biene, die sich in die Gaststube verirrt hat. Auf der Straße trottet eine Gruppe Japaner vorbei, schießt Fotos und ist dann auch schon wieder weg zur nächsten Schwarzwaldattraktion. 100 000 Übernachtungen wurden 2017 in Sasbachwalden gezählt. Urlauber können in den Reben in einem großen Weinfass nächtigen, die Lage Alde Gott ist eine starke Marke, es gibt einen Premiumwanderweg, der Eierlikör ist Exportschlager. Der Trend bei den Gästezahlen gehe nach oben, sagt Sonja Schuchter. Man profitiere vom Schwarzwaldboom und setze auf sanften Tourismus: Wandern, Wellness, Mountain-Biking, Natur. Und bald wohl auch auf Tiere.

Es läuft wieder. Dabei stand das Dorf einmal für Niedergang. "Keine leichte Zeit damals", sagt Kurgeschäftsführer Alexander Trauthwein. Das Erfolgsmodell der Nachkriegszeit – Kuchen, Kurschatten und Kniebundhose– hatte sich ab Mitte der 1990er-Jahre überlebt. Vor 25 Jahren gab es noch 315 000 Übernachtungen, doch die Gesundheitsreform zwang die Krankenkassen zum Sparen, die Kurgäste blieben erst immer kürzer und irgendwann mal weg, Kliniken und Hotels schlossen. Auch heute noch kann man eine Art von Katastrophentourismus durch Sasbachwalden machen. Da liegt etwa die ehemalige Wagner-Klinik, ein riesiger Klotz, verwaist oberhalb der Ortsmitte. Ein Plakat wirbt noch für eine Senioren-Tanzveranstaltung. Seit Herbst 2017 gehört das Haus einem deutsch-luxemburgischen Investor, der eine Wellnesseinrichtung plant, ein zweistelliger Millionenbetrag ist nötig. "Es könnte noch scheitern", fürchtet die Bürgermeisterin. Etwas weiter unten der Adler, ehemals ein SS-Erholungsheim und später bekanntes Tanzlokal – auch er verwaist. Der Badische Hof – ebenfalls dauerhaft geschlossen. Auf dem Berg im Ortsteil Brandrüttel steht das verlassene Hotel Bel-Air, das es zuletzt in die Schlagzeilen schaffte, als das Regierungspräsidium Freiburg auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise dort syrische Familien unterbrachte. Auch hier soll es einen Neustart geben.

Am Breitenbrunnen, wo Wruck und Schmitz ihren Traum verwirklichen wollen, stehen ebenfalls Ruinen. Roter Sandstein, errichtet 1888, nun sind die Fenster verrammelt, an den Wänden Graffitischmierereien. Ende September, so der Plan, soll der Abbruch der meisten Gebäude fertig sein, das Haupthaus bleibt. Früher kurierten hier saarländische Kohlekumpel ihre Lungenleiden aus, auch Michael Jackson, erzählt man sich, fand hier schon Ruhe. Seit 1996 ist das ehemalige Sanatorium leer, später wollte man hier eine riesige Skihalle errichten – "Europas größter Kühlschrank", wurde gehöhnt. 2004 wurde der Plan beerdigt.

Nun sollen hier Mensch und Tier zueinander finden, Barrieren, so weit wie möglich, reduziert werden. Ein Zoo soll es aber nicht werden, das ist beiden wichtig. "Tiere als Individuen kennenlernen und ihr natürliches Verhalten aus der Nähe erleben", lautet das Konzept. Auf dem Rückweg von den Wildschweinen zum Parkplatz sagt Schmitz: "Sehen Sie, die Begegnung mit Tieren tut doch gut."
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