"Abenteuerlust war auch dabei"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Frank Römmler, der 1959 zusammen mit seiner Familie aus der DDR nach Westdeutschland geflohen ist.  

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Als Frank Römmler nach Westdeutschland flüchtete, stand die Berliner Mauer noch nicht. Foto: dpa

Die junge DDR hatte noch offene Grenzen und genau deshalb ein großes Problem: Viele Menschen wollten sich nicht mit den Repressalien des politischen Systems abfinden und verließen das Land. In den 40 Jahren ihrer Existenz haben 3,5 Millonen Menschen die DDR verlassen, nur eine halbe Million davon legal. Viele Menschen starben auf der Flucht. Frank Römmler, der Opa von Zischup-Reporter Dominick DeSmedt aus der Klasse 8a der Theodor-Frank-Realschule in Teningen, floh 1959 zusammen mit seiner Familie nach Westdeutschland. Ein Interview über eine aufregende Flucht.

Zischup: Deine Eltern hatten sich 1959 entschlossen, ihre Heimat zu verlassen und nach Westdeutschland zu flüchten. Wo bist du aufgewachsen?

Römmler:
Ich wurde 1943 in Dresden geboren und wuchs in Wilsdruff bei Dresden auf. Mein Vater war Maschinenbauer und hatte eine kleine Fabrik in Wilsdruff. Er hat drei Brüder, einen älteren und zwei jüngere. Im Haus lebte damals auch noch seine Oma. Die ganze Familie ist 1959 nach Westdeutschland geflohen.
Zischup: Warum seid ihr geflohen?
Römmler: Mein Vater hat für sich und seine Söhne in der DDR keine Zukunft mehr gesehen. Die Regierung hatte es sich zum Ziel gesetzt, Privateigentum, also private Fabriken wie die meines Vaters, abzuschaffen. Die volkseigenen Betriebe, die sogenannten VEB, wurden immer bevorzugt. Es war sehr schwer, so zu wirtschaften.
Zischup: Die Entscheidung zur Flucht haben deine Eltern getroffen. Wie haben sie dich darüber informiert?
Römmler: Es musste absolut geheim bleiben. Alles musste genauso weiterlaufen wie bisher, oder es hätte Verdacht erregt. Wilsdruff war eine Kleinstadt mit rund 4500 Einwohnern. Jeder wusste über den andern Bescheid. Meine jüngeren Brüder waren erst sieben und 13 Jahre alt, ich war schon 16. Also haben meine Eltern bis zum letzten Moment gewartet. Drei Tage vorher haben sie mir Bescheid gesagt.
Zischup: Wie hast du dich gefühlt, als sie dir das gesagt haben?
Römmler: Als 16-Jähriger hatte ich schon beim Besuch der Polytechnischen Oberschule viel erfahren, wie mit missliebigen Mitschülern ungerechtfertigt verfahren wurde. Öffentliche Demütigung und Rausschmiss waren die Folge. Auch mir war klar, dass wir in der DDR keine Zukunft hatten. Ein bisschen Abenteuerlust war damals sicher auch dabei.
Zischup: Hast du etwas mitgenommen, was dir damals sehr wichtig war?
Römmler: Was wir mitnehmen durften, musste in eine Hosentasche passen: ein paar Ausweise, sonst nichts. Einen Tag vor der Flucht besorgte ich mir noch ein Ansteckabzeichen des CVJM, das ist der Gesamtverband des Christlichen Vereins Junger Menschen.
Zischup: Wie seid ihr dann tatsächlich nach Westdeutschland gekommen?
Römmler: Zunächst warteten wir den Beginn der Sommerferien ab. Denn ein Fehlen von uns Kindern in der Schule wäre sofort aufgefallen. Wir trennten uns dann in zwei Gruppen, mein Vater und ich, also die Männer der Familie, und meine Mutter mit Oma und den beiden jüngeren Brüdern. Mein älterer Bruder war schon drei Jahre vorher geflohen. Er war damals schon 18 Jahre alt, also nach DDR-Recht volljährig.
Zischup: Und wie ging es dann weiter?

Römmler: Mein Vater und ich sind mit dem D-Zug von Dresden nach Ost-Berlin gefahren. Dort sind wir in die S-Bahn gestiegen. Damals konnte man innerhalb der Stadtgebiete West und Ost noch fahren. Obwohl es viele Kontrollen gab, hatten wir riesiges Glück nicht kontrolliert zu werden. Meine Mutter ist mit ihrer Mutter und den jüngeren Brüdern von Wilsdruff aus mit dem Taxi nach Treptow in Ost-Berlin gefahren. Das fiel deshalb nicht weiter auf, da meine Eltern und die Oma Berlinerinnen waren und öfters dorthin fuhren – auch mit dem Taxi. Sie hatten eine Tasche dabei mit ein paar wenigen Habseligkeiten und einem Kuchen obendrauf. In Berlin sind sie dann alle zu Fuß durch die Kontrolle an der Sektorengrenze gegangen. Offiziell wollten sie eine Freundin meiner Mutter in West-Berlin besuchen. Meine Mutter hatte noch ihre echte "Berliner Schnauze". Das hat ihr damals sicher sehr geholfen. Auch dass ihre Gruppe nur aus Frauen und Kindern bestand, ließ sie unverdächtig erscheinen. Mein Vater und ich hatten uns auf Westberliner Seite hinter einer Litfaßsäule versteckt und beobachteten, was mit unseren Familienangehörigen geschah.
Zischup: Ihr hattet sicher Angst?
Römmler: Das zu bestreiten wäre unsinnig. Es war eine riesige Erleichterung zu sehen, wie die Fußtruppe schließlich ungehindert passieren durfte.
Zischup: Weißt du noch, was ihr als erstes getan habt, als die ganze Familie in West-Berlin wieder zusammenkam?
Römmler: Als alle zusammen in Sicherheit waren, haben wir uns umarmt und waren glücklich.
Zischup: Wann bist du das erste Mal wieder in deiner alten Heimat gewesen?
Römmler: 1982 war das Fest der Silbernen Konfirmation. Verbunden war dieses Fest mit einem Klassentreffen für die Grundschule. Traurig war, dass einige ehemalige Klassenkameraden damals nicht teilnehmen durften, weil Westdeutsche anwesend waren. In Gesprächen mit Mitschülern erfuhr ich auch, dass diejenigen, die sich kritisch zum System äußerten, große berufliche und persönliche Nachteile erleiden mussten.

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