Untersuchung
Berichterstattung über Flüchtlingskrise in der Kritik
Wie gut arbeiten die Medien in Deutschland? Der Medienwissenschaftler Michael Haller hat die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise untersucht – vor allem in den überregionalen Zeitungen.
Mi, 26. Jul 2017, 0:00 Uhr
Computer & Medien
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Finanziert von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung und in Zusammenarbeit mit der Hamburg Media School und der Leipziger Universität hat Haller vor allem die Berichterstattung dreier überregionaler Zeitungen untersucht – Süddeutsche, Frankfurter Allgemeine und Welt – sowie die einiger Online-Portale – darunter tagesschau.de und spiegel.online. Öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen sowie private TV-Sender spart die Studie aus, Regionalzeitungen wurden bei einem Teilaspekt einbezogen. Die Begründung für dieses Vorgehen: Die drei überregionalen Zeitungen bezeichnet Haller als "Leitmedien", an deren Berichterstattung sich andere Medien orientierten.
Untersucht wurden rund 35 000 Texte, die von Februar 2015 bis März 2016 erschienen. "Dies ist der Zeitraum, der mit den erschütternden Berichten über viele Tausend im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge beginnt und mit der Diskussion der brutalen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 endet", so Haller.
Gefragt wurde etwa, welche Akteure in den Berichten über das Geschehen zu Wort kamen. Von diesen waren "mehr als zwei Drittel (69,4 Prozent) der institutionellen Politik zuzuordnen: Parteien, Politiker, Regierungen, Parlamente", heißt es in der Studie. Einrichtungen oder Behörden, die mit den Flüchtlingen direkt zu tun hatten, seien nur in 1,9 Prozent der Artikel erwähnt worden. Auch die Ankommenden selbst seien kaum gefragt worden: "Das Flüchtlingsthema fand in der medialen Öffentlichkeit der Leitmedien (weitgehend) ohne Flüchtlinge statt", schreibt Haller. "Dies gilt noch ausgeprägter für die Menschen, die es als Anwohner, Nachbarn, Helfer, Widersacher usw. unmittelbar mit den Vorgängen rund um die Flüchtlinge zu tun bekamen: In dem von den drei Leitmedien gesteuerten Diskurs kommen sie ähnlich selten zur Sprache wie die Flüchtlinge."
Haller zufolge sind die Leitmedien auf die Berliner Politik fixiert. So hätten die Leitmedien das "sozial- und Gesellschaftspolitische Problemthema" der Flüchtlingskrise "in ein abstraktes Aushandlungsobjekt der institutionellen Politik überführt". Im untersuchten Zeitraum greife "kaum ein Kommentar die Sorgen, Ängste und auch Widerstände eines wachsenden Teils der Bevölkerung auf".
Zur Erklärung dieses Befunds stellt Haller die Theorie auf, es sei ein "Narrativ ‚Willkommenskultur’" am Werk. Seinen Ursprung habe dieses Narrativ – den Begriff selbst erläutert Haller nur beiläufig – in der Zeit nach 2005: Industrie- und Arbeitgeberverbände hätten seinerzeit eine Kultur des Willkommens gegenüber Migranten gefordert, weil sie qualifizierte Arbeitskräfte ins Land holen wollten. Die im Bundestag vertretenen Parteien hätten diese Forderung dann in ihre Programme übernommen. In den Zeitungen sei die "Willkommenskultur" dann 2015 zu "einer Art Zauberwort verklärt" worden, "mit dem freiwillig von den Bürgern zu erbringende Samariterdienste moralisch eingefordert werden konnten". Mehr als 80 Prozent der Zeitungsberichte hätten "das Leitbild Willkommenskultur" in einem positiven Sinne vermittelt.
Zu diesem Punkt unternahm Haller eine statistische Untersuchung von Texten aus Regionalzeitungen. Von 50 Zeitungen wurde eine Zufallsstichprobe von 250 Berichten gezogen, die das Wort "Willkommenskultur" enthielten. "Bei der Lektüre der Texte", schreibt Haller, "fiel uns auf, dass die meisten Zeitungen ungeachtet ihres Erscheinungsortes über Äußerungen zur ‚Willkommenskultur’ nicht nur positiv, sondern geradezu werbend berichteten."
Diesem Befund stellt Haller – nun wiederum für die "Leitmedien" – einen anderen gegenüber: "Über Bedenkenträger oder Skeptiker wurde eher selten berichtet". Diese Teile der Bevölkerung hätten sich deshalb im Internet geäußert. So sei, kritisiert Haller, "ein Bruch im gesellschaftlichen Diskurs" eingetreten. Die "Mainstream-Medien" auf der einen Seite, "die von Hasstiraden überquellenden Blogs und Kommentarspalten auf der anderen Seite: Sie sind Ausdruck einer tiefen Spaltung, die seit Beginn der großen Flüchtlingswelle im Sommer 2015 das Meinungsklima prägt."
Ausdrücklich verfolgt der Wissenschaftler hier keinen neutralen, sondern einen normativen Ansatz. Für ihn soll der "Informationsjournalismus" einen demokratischen Diskurs nicht nur fördern, sondern selbst veranstalten. So soll er "diskursiv funktionierende Verständigungsprozesse" in der Gesellschaft in Gang setzen. Einfacher ausgedrückt: Es sollen alle Bevölkerungsgruppen befragt werden und zu Wort kommen.
Die drei vor allem untersuchten überregionalen Zeitungen haben bislang mit einem Bericht über die Studie (die FAZ) und einem Interview mit Haller (die Welt) reagiert, Stellungnahmen zu den Befunden gab es bisher nicht. Vom Verband Deutsche Journalistenunion und in anderen Medien wurden vereinzelt Zweifel an der Methodik geäußert.
"Die Medien" hätten in der Flüchtlingskrise versagt, weil sie sich Standpunkte der politischen Eliten zu eigen gemacht und Zweifel der Bevölkerung ignoriert hätten. Mit diesem Tenor wird dieser Tage über eine Studie des Medienforschers Michael Haller berichtet. Auch die Badische Zeitung will ihren Leserinnen und Lesern Informationen über die Studie nicht vorenthalten. Indes sind wir überzeugt, dass Hallers – nach Untersuchung vornehmlich überregionaler Zeitungen – vorgenommene Bewertungen auf unsere Arbeit nicht oder höchstens eingeschränkt zutreffen. Einmal abgesehen davon, dass die BZ die eigene Berichterstattung nicht nach "Leitmedien" ausrichtet, haben wir von Anfang an eben nicht nur positiv die Woge der Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur begleitet, die es ja in nie geahnter Dimension gab. Sondern wir haben genauso auf Probleme hingewiesen: bei der Unterbringung, dem Arbeitsmarkt, der Integration. Flüchtlinge sind ebenso zu Wort gekommen wie besorgte Bürger – im Bemühen um Differenziertheit und Vernunft im Umgang mit dem Thema. So wollen wir es auch weiter halten. Thomas Fricker
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