Wo alles wiederkehrt

John Corey Whaleys großartiger Roman "Hier könnte das Ende der Welt sein".  

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Seine Heimat Lily im US-Bundesstaat Arkansas ist für den 17-jährigen Cullen "ein Ort, an den man ziehen möchte, kurz bevor man stirbt": das Gegenteil von dem, was man sich am Ende der Schulzeit für seine Zukunft vorstellt. Sicher, der beste Freund lebt dort, das Mädchen, das man toll findet, und der eigene, ganz besondere jüngere Bruder. Aber was erwartet einen Jugendlichen in diesem 3947-Seelen-Kaff schon? Autor John Corey Whaleys macht das gleich mit den ersten Sätzen klar: "Ich war siebzehn, als ich meine erste Leiche sah. Es war nicht mein Cousin Oslo." Der Cousin war dann der zweite Tote auf der Nachbarbahre des Leichenschauhauses. Überdosis. Aber auch ohne dramatischen Drogenabgang zögert sich das Unausweichliche des Lebens in der abgehängten Provinz nur hinaus. "Erst gehst du zur Schule, dann schuftest du fünfzig Jahre, dann verreckst du", notiert sich Cullen.

Insofern trifft der deutsche Titel von Whaleys Roman ins Schwarze: "Hier könnte das Ende der Welt sein". Lily ist nicht der Ort, an dem etwas anfängt, sondern wo alles aufhört. Das Leben eines Cousins, das Leben der vielen Männer der auch von Cullen umschwärmten Ada, die kurz nach Beziehungsbeginn immer sofort wieder verwitwet, und dann verschwindet auch noch Cullens einziger Lichtblick und Halt, sein jüngerer Bruder Gabriel.

Aber Lily ist auch etwas anderes, das der Titel des amerikanischen Originals besser ausdrückt: "Where things come back", der Ort, an den alles wiederkehrt. Etwa der als ausgestorben geltende Lazarusspecht, den ein Hobbyornithologe gesichtet haben will und damit dem Kaff die Hoffnung auf die Rückkehr eines Lebens jenseits der Bedeutungslosigkeit gibt. Eine geschiedene Frau kehrt zurück und beschert Cullen eine Affäre – der Kulminationspunkt, an dem alle kunstvoll verwobenen Handlungsstränge und Zeitebenen des Romans zusammenlaufen. Auch die scheinbar unverbunden zur Handlung in Lily erzählte Geschichte eines gescheiterten Missionars erschließt sich daraus.

Mit ungeheurer Leichtigkeit gelingt es John Corey Whaley, den Schwebezustand eines 17-Jährigen zwischen Aufbruch und Verbundenheit, Lust auf Neues und Angst vor Verlust, äußeren Anforderungen und eigenen Plänen literarisch zum Leuchten und auf den Punkt zu bringen, an dem alles bis hin zu dem, was man gemeinhin Realität nennt, zur Disposition steht. Sogar das Erzählen selbst wird zum Schweben gebracht. Ist es ein Buch übers Erwachsenwerden, über das Leben in der Provinz oder die Bewältigung eines Verlusts? Oder ein Buch in einem Buch? Schließlich endet der Roman mit einer Notiz von Cullen für spätere eigene Werke: "Buchtitel Nr. 89: Wo alles wiederkehrt." Auch wenn diese Schlusspointe beim deutschen Titel verloren geht, lässt die hervorragenden Übersetzung nichts zu wünschen übrig.
– John Corey Whaley: Hier könnte das Ende der Welt sein. Deutsch von Andreas Jandl. Hanser Verlag, München 2014. 216 Seiten, 15,90 Euro. Ab 16.

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