Baden blüht (15)

Grünes Klassenzimmer: Schulgärten erleben Renaissance

Bei der Gartenarbeit lässt sich viel lernen: Zuverlässigkeit, Geduld, Beharrlichkeit. In einigen Schulen in Südbaden kümmern sich Kinder um einen Schulgarten. Besuche in drei lebendigen Lernorten in Südbaden.  

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Gefunden: Anschauungsmaterial für Naturforscher Foto: REGULA WOLF
G anz hinten im Garten steht eine alte Badewanne. An heißen Sommertagen wird dort nachgeladen, was geht. Wasser rein, Deckel drauf und schon sind die Finger wieder am Abzug der Hochdruckwasserspritzpistolen, um sich zwischen Bauwagen, Wildbienenstand und Sonnenblumenfeld gegenseitig nass zu machen.

Der 20 auf 50 Meter große Garten am Mühlbach gehört zur Offenburger Waldbachschule, einer Förderschule. Es ist ein Garten, wie ihn Kinder brauchen. Beete mit viel gepflegter Wildnis drum herum, Kletterbaum und Grillstelle.

Mindestens dreimal die Woche kommt Stefan Böhm mit seinen Schülern in den Garten. Dann wird gegraben, gepflanzt, gegossen – und nebenbei allerhand entdeckt. Zum Beispiel, dass Regenwürmer gar nicht so eklig sind, wie sie aussehen. Oder, dass das stachelige Etwas neben der Badewanne eine Mariendistel ist. Über die hätten sich seine Schüler beim Wasserholen schon oft geärgert, erzählt Böhm. "So lernen sie, was eine Distel ist."

Seit 13 Jahren leitet Böhm die Garten-AG. Und noch immer wundert er sich darüber, was der Garten mit den Schülern macht. Auf einmal buddeln unruhige Kinder in sich versunken im Beet, beobachten mit viel Ausdauer, wie Wespen Heu in einen hohlen Stab stopfen oder balancieren vorsichtig über ein Brett im Beet, um die Pflanzen nicht zu zertreten.

Kinder lernen im Garten, Verantwortung zu übernehmen. Auch in den Ferien gibt es Gießdienste. Und wenn die Johannisbeeren von den Sträuchern müssen, kommt man auch mal zu einem Sondereinsatz zusammen. Lust haben sie nicht immer zum Gärtnern. Wie Sebastian, der ein "Warum denn immer ich?" grummelt, als ihn Böhm dazu auffordert, die Beete zu gießen. Auf Nachfrage gibt er aber zu, dass das mit dem Gärtnern schon "ganz okay" sei.

In einem Schulgarten passiert aber noch viel mehr. Böhm: "Wenn die Kinder sehen, dass aus einem kleinen Korn eine große Pflanze wächst, deren Früchte man auch noch essen kann, dann lernen sie ehrfürchtiges Staunen." Für ihn sei das eine Form von Werteerziehung. Die den Kindern auch schmeckt, wenn sie nach getaner Gartenarbeit zusammensitzen und Grütze aus selbst angebautem Rhabarber essen.

Die Schulgartenbewegung in Deutschland erlebt eine Renaissance. Schulgärten seien einzigartige Lernorte, sagten Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne), als sie 2014 zur Initiative "Lernen für die Zukunft – Gärtnern macht Schule" aufriefen. Immerhin kommt neuerdings im Bildungsplan die Leitperspektive "Bildung für nachhaltige Entwicklung" vor. Das Projekt soll auch Schulen bei der Planung, Anlage und Weiterentwicklung ihrer Gärten unterstützen. 175 Schulen haben sich an der Initiative beteiligt. Die Offenburger Waldbachschule wurde mit 18 weiteren für ihre herausragende Schulgartenarbeit ausgezeichnet.

Klingt alles wunderbar. Nur: Mit Ausnahme von Thüringen ist die Gartenarbeit nirgendwo im Lehrplan an öffentlichen Schulen in Deutschland vorgesehen. Die Schulen müssen die Stunden aus ihrem Kontingent herausschwitzen. "Und das geht eigentlich nur mit einer gegenüber dem Gärtnern positiv eingestellten Schulleitung", so Böhm. Und wenn die für den Garten verantwortliche Lehrkraft bereit ist, jenseits des Deputats Zeit zu investieren. Pflanzen hören schließlich in den Ferien nicht auf zu wachsen.

Es gibt auch Schulen, die sich selbst zum Draußensein verpflichten. An den Waldorfschulen gehört der Gartenbau zum Pflichtstoff. Das Freiburger Montessori-Zentrum Angell hat auch einen Garten. Er liegt zehn Gehminuten von der Schule entfernt. 1000 Quadratmeter ist das zwischen einem Gebäuderiegel an der Basler Straße und der Höllentalbahnlinie eingeklemmte Idyll groß. Ein Schülervater hat es der Schule vor vier Jahren überlassen. Damals wucherten Brombeerhecken auf der Brache, und als die ersten Beete angelegt wurden, haben Lehrer und Schüler ziemlich schuften müssen, denn das Erdreich enthielt viel Schutt. "Das ist der Aushub vom Bahndamm", erklärt Friederike Hengsteler, Rektorin und Leiterin der Garten-AG.
Gartenschule: Richtig gießen
Erfahrenen Gärtnern ist diese Weisheit in Fleisch und Blut übergegangen: In der prallen Mittagssonne dürfen keine Pflanzen gegossen werden, weil sonst die Blätter und Blüten verbrennen. Also entweder früh aufstehen oder am späten Abend die Runde mit Gießkanne oder Gartenschlauch drehen. Es gibt sogar eine wissenschaftliche Erklärung dafür: Ein Wassertropfen wirkt wie eine Lupe. Er bündelt Lichtstrahlen wie kleine Brenngläser und kann Sonnenbrand verursachen. Wenn Gießen, dann richtig, damit das Wasser auch in die tieferen Erdschichten gelangt. Zu viel Wasser schadet aber auch: Deshalb vor dem Gießen am besten immer einen Finger in die Erde stecken und fühlen, ob die Erde nicht doch feucht ist.

Aus der Brache ist längst ein Garten geworden: Im Sommer finden dort Theateraufführungen, Grillfeste und Projekttage statt, bei denen schon mal eine neunte Klasse Bänke aus Holz zimmert. "Wir möchten, dass unsere Schüler die Welt mit all ihren Sinnen begreifen", sagt Schulleiter Alexander Hochsprung. Es ist Teil des Montessori-Konzepts, das – so Hochsprung – das Lernen stets an die unterschiedlichen Altersstufen anpasse, auch im mitunter schwierigen Jugendalter. Damit sich die Schüler zur Praxis noch den theoretischen Hintergrund erarbeiten können, wird das von Schülern, Lehrern und Eltern erbaute Gartenhaus derzeit zum naturwissenschaftlichen Fachraum ausgebaut – mit Lupen, Mikroskopen und Reagenzgläsern.

Im alten Klostergarten des Kollegs St. Blasien sitzen zwei Oberstufenschüler und rauchen. Viele Obstbäume, zwei Teiche und, klar, Beete. Hinter der Mauer rauscht die Alb vorbei. Früher sei der Schulgarten sehr viel größer gewesen und diente auch zur Versorgung der Schulküche, erzählt Annette Büchner. Doch einen so großen Garten zu bewirtschaften ist nicht leicht. Die Sommer im Schwarzwald sind kurz, wenn das meiste Obst und Gemüse geerntet wird, sind die Schüler in den Ferien. Also wurde der Garten in den 70ern verkleinert.

Büchner ist Chemie- und Biologielehrerin und kommt mit ihren Unterstufenschülern ab und an, um Libellen zu beobachten oder Elodea, zu Deutsch Wasserpest, aus den Teichen zu fischen und unters Mikroskop zu legen. Ein Gärtner pflegt das Areal, und ab und an helfen auch mal ein paar Garten-AGler mit. Und dann gibt es noch die Wetter-AG, die ihre Wetterstation im Gartenpavillon stehen hat. "Es ist nicht immer ganz leicht, die Schüler von ihren elektronischen Medien weg und in den Garten zu locken", erzählt Büchner. Aber ab und an kommen sie dann doch – um zu rauchen, zu reden oder einfach nur innezuhalten. Und wo geht das besser als unter Obstbäumen?

Alle Beiträge der Serie unter http://mehr.bz/baden-blueht

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