Bröckelige Backenzähne
Neuer Feind in Kindermündern: Molare-Inzisiven-Hypomineralisation
Die Molare-Inzisiven-Hypomineralisation schädigt die zweiten Backenzähne, manchmal brechen sie bröckelig durch den Kiefer. Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde schlägt Alarm.
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Beschrieben worden ist die MIH erstmals 1987, gut 15 Jahre später waren etwa fünf Prozent der Kinder betroffen. Aktuellen Studien zufolge leiden inzwischen 10 bis 20 Prozent der Kinder in Deutschland unter MIH, bei den 12-Jährigen zählte die Mundgesundheitsstudie diese Strukturanomalie sogar bei knapp 30 Prozent. Die Zahlen schwanken stark, da die Studien von der Methode her sehr heterogen angelegt sind. Hinzu kommt: Ein ungeübtes Auge kann Karies mit MIH verwechseln.
Unabhängig von den Zahlen zeigt die zahnärztliche Praxis: "Das Problem wird immer größer." Norbert Krämer, der zu diesem Schluss kommt, ist der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin. Er hat in den vergangenen Jahren immer öfter Kindern auf seinem Behandlungsstuhl marode Backenzähne gezogen oder versucht zu retten, was zu retten ist. Die Bilder, die er zeigt, sehen aus, als hätten Kariesbakterien sich jahrelang an einem Zahn austoben können: rau und porös, stellenweise zerklüftet.
Auf anderen Fotos haben die Molaren gelb-braune Flecken, sehen ansonsten aber intakt und vor allem glatt aus. "Wir unterscheiden in drei Schweregrade, eine milde, eine mittlere und eine schwere MIH", sagt Krämer.
Bislang stehen die Zahnärzte ohnmächtig vor der MIH. "Während wir bei Karies die präventive Waffe quasi im Schrank haben und wissen, wo wir und die Eltern ansetzen müssen, sind wir hier schlicht völlig ratlos", sagt Jan Kühnisch. Der Zahnmediziner an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie an der Universität München beschäftigt sich seit Jahren mit der MIH und will vor allem der Ursache auf die Schliche kommen. Die müsse man irgendwann in der Schwangerschaft oder in den ersten Lebensmonaten und -jahren suchen. "Derzeit gibt es zwei große Theorien", sagt Kühnisch. "Das eine sind Umwelttoxine, das andere Antibiotika."
Er selbst hält derzeit Antibiotika für eine plausible Erklärung. Mit seinem Team hat er zwar keinen ursächlichen Zusammenhang von Antibiotika und MIH zeigen können, allerdings sei auffällig, dass bei Kindern, die unter Atemwegserkrankungen litten – und deshalb vermutlich mehr Antibiotika erhalten haben – das Auftreten von MIH deutlich erhöht gewesen sei.
Für die Antibiotikathese spricht Kühnisch zufolge auch, dass das Phänomen MIH zehn Jahre, nachdem Antibiotika verstärkt in der Medizin und vor allem der Pädiatrie eingesetzt worden sind, zum ersten Mal wissenschaftlich beschrieben wird. Gegen die Antibiotikathese spricht, dass es keine Regelmäßigkeiten gibt.
"Ich denke, dass es sich hier um ein systemisches und multifaktorielles Geschehen handelt", sagt Kühnisch, "vor allem, weil die Schmelzentwicklung in unterschiedlichen Phasen stattfindet." Vielleicht, so Kühnischs Idee, sind die Ameloblasten in verschiedenen Phasen unterschiedlich sensibel. Entscheidend wäre dann, wann der schädigende Faktor zum Tragen kommt. Man weiß, dass die am häufigsten betroffenen Sechs-Jahres-Molaren zwischen dem 8. Schwangerschaftsmonat und dem 4. Lebensjahr mineralisiert werden. Der Schwerpunkt der Zahnentwicklung liegt dabei im ersten Lebensjahr.
Der zweite Verdächtige im MIH-Krimi ist Bisphenol A, kurz BPA. Auf die Liste der möglichen Verursacher hat es diese hormonell wirksame Substanz aufgrund einer französischen Studie geschafft, die an mit BPA gefütterten Ratten strukturelle Schäden an den Zähnen feststellten, die denen an MIH-Zähnen sehr ähnlich sind. Die Demineralisation auf diese eine Studie zurückzuführen, findet Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung nicht in Ordnung, "zumal man weiß, dass Ratten auf Bisphenol A grundsätzlich empfindlicher reagieren als Menschen". BPA dient als Ausgangsstoff für Kunststoffe, unter anderem Polycarbonate. Interessant: In den 60er- und 70er- Jahren wurden Polycarbonate in Deutschland populär, aus ihnen wurden unter anderem Babyfläschchen hergestellt. Seit zwei Jahren sind BPA-haltige Polycarbonate in der EU verboten.
Jan Kühnisch hat noch einen weiteren potentiellen Schmelzstörer auf der Liste: Vitamin-D-Mangel. In ihrer Kohorte haben die Forscher den Vitamin-D-Spiegel im Serum gemessen und festgestellt, dass ein hoher Wert mit weniger MIH einhergeht. Ein Zusammenhang scheint möglich.
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