Unter einem Dach
Israelin und Palästinenser studieren zusammen im United World College
Yarden und Marwan teilen sich eine Wohngemeinschaft am United World College: Eigentlich nichts besonderes am multikulturellen Studienort in Freiburg – wenn Yarden nicht aus Israel käme, und Marwan aus Palästina.
Mi, 8. Apr 2015, 11:36 Uhr
Freiburg
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Yarden Attiras, 16, aus Givat Shemuel nahe Tel Aviv, findet das auch – und stellt fest: Sie beide in einem Haus auf dem Campus, das funktioniert locker. Sie kichert und fügt unbeschwert hinzu: "Stell dir vor, wenn wir beide Jungs gewesen wären, dann hätten wir vermutlich sogar ein Zimmer teilen müssen." Kurzes Innehalten, beide schauen sich an und stellen fast ein bisschen verblüfft fest: "Ja und? Das hätte auch geklappt – wir kommen super gut miteinander klar!" Dass Yarden mit Schwerpunkt Film studiert hat, passt gut zu den vielen Dingen, die Marwan macht, Theaterspielen, Saxophon und Oud, zum Beispiel.
Für Marwan ist die Situation mit Yarden nichts völlig neues: Er ist es gewohnt, auch mit jüdischen Israelis zu tun zu haben. So war er zum Beispiel zwei Jahre lang in der Gruppe "Seeds of Peace" aktiv, in der sich Juden und Araber gemeinsam für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten stark machen. Eine Idee, die Yarden zwar gutheißt, die ihr aber so noch nicht begegnet ist. Sie war an der Thelma Yalin Kunsthochschule – dort gab es vereinzelt auch arabische Mitschüler, aber mit denen hatte sie kaum zu tun. Mit Marwan schon – hier nämlich, in Freiburg.
Nur 104 Schüler leben auf dem Campus dieses UWC-Colleges, das in Freiburg den Namen "Robert Bosch College" trägt. Sie wohnen nicht nur dicht an dicht, sondern sie verbringen zusammen die Unterrichtsstunden, essen gemeinsam in der Mensa und belegen zusammen Arbeitsgruppen, machen Sport, machen Musik, gehen zusammen aus. Unausweichlich trifft hier jeder jeden. Immerzu.
Wie sie herkamen? "Das Auswahlverfahren in Israel war wirklich hart – das hat meinen Ehrgeiz geweckt", sagt Yarden, "aber ich hab’ nicht geglaubt, dass ich das schaffe." Ausgewählt werden aus 1500 Bewerbern? Unmöglich. Anders Marwan. Über einen ehemaligen UWC-Schüler hatte er von einem UWC-Summercamp erfahren. 20 Tage verbrachte er dort mit Menschen, die diesen "weiten Blick" haben, die offen und engagiert denken und leben. "Ich war so dermaßen aufgewühlt von dieser Erfahrung", erinnert sich Marwan, "dass mir klar war, ich muss auf ein UWC-College!" Daran, dass er es schaffen würde, hat er keinen Moment gezweifelt.
Wie ein Wasserfall erzählt er von seiner Familie – der Vater hatte ein Ingenieurstudium in Moskau absolviert und ist sehr an Bildung und Internationalität seiner Kinder interessiert, die Mutter ist Architektin – und konnte sich trotz ähnlicher Überzeugungen nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass ihr Sohn weit weg gehen würde. Yarden nickt ernst: "Meine Eltern wollten beide nicht so gerne, dass ich weggehe, aber sie haben meine Entscheidung akzeptiert."
Und die Freunde? Mit denen teilen beide ihre Erfahrungen – zum Beispiel via Facebook. Ließ sich dort vermitteln, dass in Freiburg ein Palästinenser und eine Israelin in bestem Einvernehmen einen gemeinsamen Alltag bestreiten? Auf jeden Fall, sagen beide, "wir leben hier die Hoffnung auf Veränderung – unsere Familien unterstützen das und die Leute, mit denen wir befreundet sind, finden das natürlich auch cool und richtig." Schwierig findet Yarden, wenn sie bei anderen auf einen blindwütigen Antiislamismus trifft. Das kennt sie aus ihrer unmittelbaren Umgebung allerdings kaum. Und Marwan erzählt, dass es grundsätzlich schwierig sei, die jeweilige Position gegenüber Menschen zu vertreten, die in irgendeiner Weise Opfer des Konflikts geworden sind: "Menschen, deren Gefühle verletzt wurden, also Menschen, die trauern, können oft nicht offen sein." Die Erfahrung hat auch Yarden schon gemacht.
Zur Zeit des Kalten Krieges entstand das Konzept der United World Colleges. Die Idee des deutschen Gründers und Pädagogen Kurt Hahn: Menschen müssen sich kennen, um friedlich miteinander leben zu können. Mittlerweile gibt es 14 UWCs auf fünf Kontinenten.
Infos unter: www.uwcrobertboschcollege.de
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ