Eine Entfremdung von der Natur
Freiburger Umweltgespräch vor vollem Saal: Wissenschaftler thematisieren die abnehmende Zahl der Insekten und Vögel.
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FREIBURG. Mit Forschergeist ist dieses Umweltproblem nicht zu lösen. Gegen das Sterben der Insekten und Vögel braucht es vor allem wieder Empathie – zugunsten der Mitwelt. "Wir erleben eine weit fortgeschrittene Entfremdung der Menschen von der Natur", sagte beim jüngsten Freiburger Umweltgespräch der Biologe Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell – er lieferte damit die Zusammenfassung des Abends.
Allerdings war die Bilanz, die hier gezogen wurde, bitter. Der Trend gehe gegen die Vögel, von vielen Arten gebe es heute deutlich weniger Brutpaare als vor Jahren, speziell im Offenland. Waldvögel seien nicht ganz so stark betroffen. Und doch seien landesweit in nur einer Menschengeneration zwölf Prozent der heimischen Vogelarten ausgestorben.
Der Trend geht auch gegen die Insekten, wie die Freiburger Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Alexandra-Maria Klein, anhand von diversen Zählungen darstellte. Besonders eine Messreihe Krefelder Forscher, die nunmehr 27 Jahre währt und einen Rückgang der Insekten um drei Viertel feststellte, hatte im vergangenen Oktober das Thema in die Öffentlichkeit gespült.
Immerhin: Drei Bienengifte aus der Gruppe der Neonicotinoide wurden gerade in der EU verboten. "Das musste so kommen", sagte Forscherin Klein, schließlich gebe es mittlerweile 800 wissenschaftliche Studien zu diesen Substanzen. Umgekehrt gebe es jedoch Stoffe, die ähnlich schädlich für die Insekten sein dürften, nur seien diese noch nicht so umfangreich erforscht.
In einer durchökonomisierten Welt darf dann auch diese Zahl im Vortrag nicht fehlen: Rund um den Globus leisteten die Insekten durch ihre Bestäubung alljährlich eine Arbeit im Wert von 153 Milliarden Euro; wie auch immer man das berechnet hat. Aber klar ist: Drei Viertel der Kulturpflanzen brauchen die Insekten oder profitieren zumindest von ihnen.
Glasfassaden, Steingärten
Die Defizite liegen demnach in allen Bereichen. Landwirtschaft, die auf maximale Flächeneffizienz und möglichst billige Lebensmittel setzt, Pestizide inbegriffen. Architekten, die nicht genug kriegen können von Glasfassaden, an denen Vögel zerschellen. Bürger, deren Vorgärten vor allem eines sind: tot. Ohne Blüten, ohne Artenvielfalt, oft nur noch versiegelt mit Beton und Steinen oder begrünt mit Kurzgras in Einheitslänge. Und dann verschwinden auch immer mehr Flächen unter Beton und Asphalt – der Landschaftsfraß findet kein Ende. Des Weiteren sind natürlich die fremden Tierarten zu nennen, jene, die so gar nicht hier her gehören: Waschbären, einst aus einer Pelztierfarm entflohen, rauben in Teilen Deutschlands inzwischen vom Erdboden bis in die Bäume Vogelnester aus. Auch Mink und Marderhund sind solche Fremdlinge. Nicht zu vergessen, die "gelangweilten Hauskatzen" (Fiedler), die an manchem Vogeltod schuld tragen.
Am Ende blieb bei den Zuhörern vor allem eines: Nachdenklichkeit. Manche düstere Erkenntnis wurde immerhin durch einen Abend mit wissenschaftlichem Tiefgang entschädigt. Und der war produktiv, die Ideen sprudelten im Nachgang. Auch kommunales Grün könne doch naturnäher bewirtschaftet werden, indem man seltener mäht und die Gehölze weniger brutal schneidet, hieß es aus dem Publikum. Geld könne nicht dagegen sprechen, man spare dadurch schließlich. Ein anderer Zuhörer monierte Fehlanreize durch die landwirtschaftliche Förderpolitik, die dem Erhalt selbst kleiner natürlicher Inseln entgegen wirke.
Positiv immerhin: Das Insektensterben hat es in den Koalitionsvertrag geschafft, ein "Aktionsprogramm Insektenschutz" soll kommen. Und dann merkte Referentin Klein noch an, dass das seit Herbst bis in die höchste Bundespolitik diskutierte 27-Jahres-Projekt der Insektenforschung von einem Verein gestemmt wurde. Also von Ehrenamtlichen – womit der Eindruck, man könne als einfacher Bürger gegen das Insekten- und Vogelsterben ohnehin nichts tun, fern lag an diesem Abend.
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