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Die Schlachtung eines Menschen

Michael Baas
  • Mo, 23. September 2024
    Theater

     

Persönlichkeit ist austauschbar: Die These vertritt Bertolt Brechts "Mann ist Mann". Jörg Pohl hat das Lustspiel nun fürs Basler Theater inszeniert.

Eine Inszenierung mit eindrucksvollen ...s „Mann ist Mann“ in Basel  | Foto: Lucia Hunziker
Eine Inszenierung mit eindrucksvollen Szenen gegen Ende: Bertolt Brechts „Mann ist Mann“ in Basel Foto: Lucia Hunziker
Da steht die Gestalt in abgewetzter Tropenuniform mit gezwirbeltem Schnurrbart an der Rampe der Bühne des Kleinen Hauses im Theater Basel vor dem weißen, halbhohen, den Hintergrund auf ganzer Breite verhüllenden Brecht-Vorhang und switched von Rolle zu Rolle. Mal ist sie ein Bananenbaum, mal Polly Baker. "Wer die Handlung nicht begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen, sie ist unverständlich", erklärt Letzterer da unter anderem und verweist die, die einen Sinn suchen, aufs Klo.

Mit dieser Absage an jede Form immaterieller Sinnsuche zäumt Jörg Pohl seinen "Mann-ist-Mann" quasi vom Ende her auf. Bertolt Brecht jedenfalls hat die Passage als Nachklapp zu seiner Parabel über die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Soldaten Jeraiah Jip verfasst. Mit der Platzierung als Prolog gibt Pohl dem Publikum nun eine Art Sehhilfe für seine rund zweistündige Inszenierung – was Sinn macht.

Das 1925 veröffentlichte, 1926 uraufgeführte, aber bis heute selten gespielte Stück ist der Versuch Brechts, die Entfremdung in kapitalistischen Systemen auf individueller Ebene nachzuzeichnen. Im Kern geht es um die Verobjektivierung des Individuums und dessen bis zur Selbstaufgabe reichende Verformung und Verdinglichung. Das Fallbeispiel ist Galy Gay, "ein Mensch, der nicht Nein sagen kann" und so in die Fänge einer Soldateska gerät. Diese braucht nach einem Einbruch Ersatz für den zurückgelassenen vierten Mann. Mit wüsten, erpresserischen Methoden und in einem irren Deal montiert das verbliebene Trio Gay daraufhin "wie ein Auto" um zu diesem Vierten.

Brecht sah seinen Protagonisten insofern als Prototypen eines neuen Menschen, den er dem Publikum in dem auch als Lustspiel etikettierten Stück vorführen wollte. Von trockenem Thesentheater eines alten weißen Mannes des 20. Jahrhunderts aber ist diese Inszenierung weit entfernt. Auf der Bühne (Lena Schön/Helen Stein) agieren skurrile Witzfiguren und grotesk verfremdete Karikaturen – von einem zwischen naivem Gutmenschentum und eiskaltem Opportunismus schwankenden Galy Gay (Jan Bluthardt) über das von bierseliger Kumpelhaftigkeit zu gemeiner Brutalität mäandernde Soldatentrio Uria Shelly, Polly Baker und Jessey Mahoney bis zum Sergeanten Fairchild. Barbara Colceriu macht die vermeintliche Respektsperson zur Lachnummer, die zwischen cholerischem Wutbürgertum und toxischer Männlichkeit oszilliert.

Schon die Kostüme (Lena Schön/Helen Stein) spotten jedem Realismus: Die Soldaten etwa erinnern an Handpuppen. Die Uniformen bestehen aus gerippten langen Unterhosen, weißen Sneakern, gesteppten, knielangen Blähhosen, flauschigen Oberteilen und weißen Pelzmützen im Kosakenstil. Auch die Besetzungen unterlaufen traditionelle Muster und Geschlechteridentitäten – da grüßt der LGBTQ-affine Zeitgeist. Brechts sinnlich aufgeladene Witwe Begbick, dieses "getünchte Babylon", etwa gibt Sven Schelker als so androgyne wie skrupellose Geschäftemacherin. Hanh Mai Thi Tran verkörpert Herrn W. als pfiffig-schmierigen Widerling mit feistem Männerwanst. Dazu kommt ein ständiges Grimassieren, Fratzenschneiden und Augenrollen, viel Gestik und choreographische Elemente.

Visuell ist das allemal ein Theaterspektakel, dessen Setting Pohl von der Kolonialzeit der Textvorlage in eine undefinierte Zukunft verlegt und dem die in Brecht’scher Manier eingeflochtenen und von Evelinn Trouble live performten musikalischen Reflexionsräume zusätzlich Gegenwartsbezüge schaffen. Dafür hat die Basler Gitarristin und Sängerin die klassischen Paul-Dessau-Lieder mit elektronischen Mitteln adaptiert, in einen leicht melancholischen, dystopischen Soundtrack verwandelt und diesen noch mit zwei Pop-Songs erweitert.

Alles in der Spur also? Jein. Pohl & Co nutzen Brecht, diese Theater-Ikone des 20. Jahrhunderts, und die im Titel "Mann bleibt Mann" angedeutete Austauschbarkeit des Individuums zunächst als Folie für Klamauk und Slapstick bis zur Stand-up-Comedy. Diese Rezeptur, die im Publikum für viel Erheiterung sorgt, erinnert an die "Dreigroschenoper" Antú Romero Nunes’, der mit Pohl zum Leitungsteam des Basler Schauspiels gehört. Ein Zufall ist das sicher nicht. Doch wird diese Methode dem komplexen Stoff von der Häutung oder "Schlachtung eines Menschen", wie Brecht das nannte, und seiner Zurichtung zur Kampfmaschine im Konkurrenzkampf gerecht?

Die erste Hälfte weckt da Zweifel. Zumindest liegen die Akzente zunächst auf einem fast selbstreferentiellen "Kasperletheater". Mit dem Tribunal gegen Galy Gay wegen des Verkaufs eines gefakten Panzers und Gays endgültiger Mutation zu Jeraiah Jip aber entwickelt die Inszenierung einen packenden Drive mit eindrucksvollen Szenen. Und wenn die Truppe am Ende euphorisch als – im wahrsten Sinn – Kanonenfutter in den Krieg zieht, wächst ein Unbehagen, ob der derzeit weltweit auflodernden Kriegszustände. Aussichten, denen das Schlussbild zum Antikriegslied "The Unkown Soldier" der Doors mit dem denkmalhaft erstarrten Ensemble fast appellativ begegnet.

Weitere Termine 27. September und danach bis Juni 2025; http://www.theater-basel.ch

Ressort: Theater

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 23. September 2024: PDF-Version herunterladen

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